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Das Fremde Meer: Roman (German Edition)

Das Fremde Meer: Roman (German Edition)

Titel: Das Fremde Meer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Hartwell
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zittern mir die Hände; vor Aufregung oder Unterzuckerung, ich weiß es nicht. Noch immer bin ich überzeugt davon, dass du jede Sekunde durch die Tür und in den Raum stürmen wirst. Dass du mich holen kommst.
    Aber du kommst nicht.
    *
    Wahrscheinlich wären wir noch einige Wochen umeinander herumgeschlichen, und dann hätte einer von uns beiden aufgegeben. Eine Weile hätten wir einander noch zugenickt, dann auch das nicht mehr. Bald wärst du mir und ich dir wieder fremd geworden, und die Erinnerung an jenen Fall aus dem Paternoster hätte allmählich an Glaubwürdigkeit verloren. Doch es kommt anders, und wenige Wochen später stehen wir einander in dem verfallenden Haus gegenüber.
    Die Geschichte des verfallenden Hauses
    Ende August klingt die Hitze so plötzlich wieder ab, wie sie kurz zuvor aufgekommen war. Nils und ich dehnen unsere Kaffeepausen immer weiter aus, und der grautriste Himmel drückt sich aufdringlich gegen die Scheiben der Cafeteria.
    Montagmittag sitzen wir über eine Stunde in unseren Plastikstühlen und sprechen über Professor Dunker, die wegen ihres künstlichen Hüftgelenks eine Kur macht, über Frank, der behauptet, kurz vor dem Abschluss seiner Arbeit zu stehen, über unseren Verdacht, dass Frank lügt, und auch über unsere eigenen Arbeiten, mit denen es nicht vorangeht. Nils fehlt eine bestimmte Quelle, ein Buch, an das er nicht herankommt, das er nur in den Staaten und für viel Geld bestellen könnte. Ich hingegen müsste nur weniger FreeCell spielen.
    Als Nils mich zu einer Party Ende der Woche einlädt, hebe ich abwehrend die Hand. »Nein, danke«, sage ich und verrühre den unsichtbaren Zuckerberg auf dem Boden meines dritten Kaffees.
    »Du verpasst aber was. Ich sage das nicht nur so. Es stimmt. Wir gehen zu Lisas Freunden.«
    Seit einigen Wochen hat Nils eine neue Freundin. Lisa. Eine Kunststudentin, die Männern die Hand auf den Oberarm legt, wenn sie mit ihnen spricht, und mich immer Mara nennt, obwohl sie sicher weiß, wie ich heiße. Sie ist hübsch und »hip«, und ich weiß nicht, warum sie mit Nils zusammen ist.
    »Bestimmt nicht«, sage ich. »Malt irgendwer sich rot an und rennt nackt durch eine Lagerhalle?«
    Ein einziges Mal habe ich mich von Nils überreden lassen, mit ihm und Lisa zu einer systemkritischen Performance zu gehen. Eine halbe Stunde habe ich in einer kellerkalten Lagerhalle einer nackten, blutrot angemalten Frau dabei zugesehen, wie sie Parolen skandierte.
    »Viel scheint in deinem Leben nicht zu passieren, wenn du dich noch immer über die Performance aufregst«, sagt Nils.
    Ich ziehe eine Fratze und lasse ihn glauben, dass er recht hat und die blutrote, zeternde Frau das einzige Ereignis der letzten Wochen gewesen ist. Den Mann, der aus einem Schacht und auf mich hinabfiel, behalte ich für mich.
    »Dieses Mal ist es bloß eine Party«, sagt Nils. »Freunde von Lisa wohnen in einem unsanierten Altbau, der abgerissen werden soll – das große Haus an der Kreuzung, wo der Copyshop ist.«
    Obwohl ich gleich weiß, welches Haus er meint, zucke ich die Achseln.
    »Lisas Freunde feiern eine Abschiedsparty. Es wird auch bestimmt keine Performance geben. Wenn dich das beruhigt.«
    »Es beruhigt mich, aber ich will trotzdem nicht hin.«
    »Du verpasst was, Marie«, behauptet Nils ein weiteres Mal.
    Es kommt dann aber nicht dazu, dass ich etwas verpasse. Weil ich entgegen meiner Versicherungen doch zu der Party gehe, und Schuld daran ist ein verlorener Schlüssel.
    Der Paternoster-Unfall liegt beinahe vier Wochen zurück, der Tod meines Onkels Paul auf die Woche genau drei Jahre. Noch immer bewahre ich ein Brotmesser und Pfefferspray unter meinem Bett auf. Nachts schließe ich meine Tür von innen ab und lasse den Schlüssel stecken.
    Wie jeden Morgen stehe ich um Punkt 8 Uhr 30 auf. Ich muss mich an diese Zeit genau halten, weil sonst die Gefahr besteht, dass ich gar nicht aufstehe. Noch im Halbschlaf ziehe ich mich an, mache mir einen Kaffee, trinke ihn. Als ich die Wohnung etwa eine halbe Stunde später verlassen will, muss ich feststellen, dass es nicht geht. Ich drücke die Klinke herunter, und nichts passiert. Die Tür öffnet sich nicht. Sie muss abgeschlossen sein, kombiniere ich kaffeewach, nur ist vom Schlüssel nichts zu sehen. Ratlos stehe ich vor der Wohnungstür und fange an zu lächeln. Wie immer, wenn ich mich durch Selbstverschulden in eine unangenehme Situation gebracht habe, kommt mir das Ganze zunächst wie ein Witz vor. Gleichzeitig

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