Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Fremde Meer: Roman (German Edition)

Das Fremde Meer: Roman (German Edition)

Titel: Das Fremde Meer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Hartwell
Vom Netzwerk:
sich gibt, klingen alle in etwa gleich, wie trockener Husten.
    »Das geht nicht«, sagt er. »Ich falle runter.«
    »Du musst dich gut festhalten«, sagt sie. »Das ist alles.«
    Sie steigt auf das Rad und wartet, während er unschlüssig daneben steht. Als er endlich aufsitzt, hängt er wie totes Gewicht auf dem Rad. Die ersten Meter über hat Moira Schwierigkeiten, das Gleichgewicht zu halten. Das ständige Auftauchen und Verschwinden unterschiedlich großer Häuser hat Spuren auf den Straßen hinterlassen. Risse und Furchen ziehen sich durch den Asphalt, und bei jedem Ruckeln umklammert Jonas Moira fester. Obwohl Moira in Jonas’ Griff bisweilen die Luft wegbleibt, tritt sie weiter in die Pedale. Würde sie anhalten, davon ist sie überzeugt, spränge er vom Gepäckträger und liefe den ganzen Weg zum Loft zurück.
    Es ist lange her, dass Jonas Basenzia verlassen hat. Wahrscheinlich ein paar Monate, ihm kommt es vor, als müssten es Jahre gewesen sein. Von Basenzia gelangen sie in die Nordvorstadt und von dort weiter in die Zentralstadt. Jonas schließt die Augen. Solange es sich vermeiden lässt, will er die menschenleeren Straßen nicht sehen, und nicht die gähnenden Löcher, dort, wo einmal Häuser standen. Er drückt sich gegen Moira, und wenn er die Augen versehentlich doch öffnet, wenn er die Lider flattern lässt, dann sieht er bloß das glatte, dunkle Material ihres Anzugs.
    Moira blickt nicht zurück, dreht den Kopf aber, gerade so weit, dass sie sieht, wie der Himmel über Basenzia neue Farben gewinnt. Jonas scheint das Leuchten nicht zu sehen, das Mahlen nicht zu hören. Bräuchte Moira nicht die Hände zum Lenken, dann würde sie sich die Ohren zuhalten, damit auch sie die tiefen Töne, das dumpfe Brummen nicht hören muss.
    Wir sind die letzten Menschen, die Basenzia gesehen haben werden, denkt sie. Denn Basenzia verschwindet, und bald wird auch die Nordvorstadt nicht mehr sein, und dann die ganze Wechselstadt. Möglich, dass es nicht mit der Wechselstadt endet, sondern hier und heute die Auflösung der Welt begonnen hat und sie sich an ihrem Rand, an der Grenze zum Nichts befinden.
    Es ist bereits dunkel, als sie die Zentralstadt erreichen.
    »Hier kenne ich mich gut aus«, sagt Moira.
    Jonas steigt langsam vom Gepäckträger und reibt sich die schmerzenden Oberschenkel. Seine Hände sind zittrig und wund. »Du meinst, du hast dich hier mal ausgekannt«, sagt er und dreht mit dem rechten Zeigefinger eine Spirale, um Moira an den ewigen Wechsel zu erinnern.
    »Nein. Auch jetzt noch.«
    »Aber –«
    »In der Regel weiß ich, was wann wo sein wird. Ich habe eine ungefähre Vorstellung von den Bewegungen.«
    Jonas bleibt stehen.
    »Du weißt, wo Dinge wieder auftauchen?«
    »Nicht immer. Je größer das Objekt, umso leichter kann ich die voraussichtliche Bewegung einschätzen. Deswegen funktioniert es meist nur bei Häusern.« Sie deutet auf einen Altbau unmittelbar vor ihnen. »Dieses Haus finde ich fast immer. Es wechselt zwar die Straßen, die Zentralstadt aber verlässt es nie.«
    Nachdem Moira ihr Fahrrad in dem verwilderten Garten hinter dem Haus versteckt hat, klettert sie auf den Sims vor einem der eingeschlagenen Fenster im Erdgeschoss und fragt, ohne sich umzudrehen: »Als du in der Hauswacht warst, hast du etwas mitbekommen, weißt du, was mit den Leuten passiert ist, die nach einem Wechsel verschwunden sind?«
    »Nein, auch in der Hauswacht weiß man nichts Genaues. Nur, dass Menschen anders zu wechseln scheinen als Objekte.«
    »Weil die Objekte wieder auftauchen?«
    »Ja, zumindest die meisten. Man versteht zwar nicht, warum sie sich an bestimmten Orten und zu bestimmten Zeiten wieder manifestieren, aber in der Regel tauchen sie wieder auf. Die Menschen nicht. Mit den Häuserwechseln der letzten Monate sind Hunderte verschwunden.«
    Moira, die während Jonas’ Antwort stillgehalten hat, springt vom Fenstersims ins Innere des Hauses. Als Jonas versucht, es ihr gleichzutun, knickt er ein. Mühsam richtet er sich wieder auf und sieht sich um. Man kann dem Haus seine vielen Wechsel ansehen. Die gelbliche Tapete löst sich an einigen Stellen von der Wand, und der fleckige Teppich rollt sich in den Ecken auf. Bis auf einen Schrank und einen Tisch ist der Raum leer.
    »Als ich noch bei der Hauswacht war«, sagt Jonas und lässt sich an der Wand neben dem Fenster zu Boden rutschen, »habe ich einmal eine Computersimulation gesehen von dem, was passieren wird. Sie können die Bewegung zwar

Weitere Kostenlose Bücher