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Das Fremde Meer: Roman (German Edition)

Das Fremde Meer: Roman (German Edition)

Titel: Das Fremde Meer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Hartwell
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Victor Serebriakoff einfach beantworten:
    Es kommt zu einem unvorstellbaren Ereignis.

I
    Es war einmal eine Prinzessin, die wäre lieber ein Ritter gewesen. Ihr Name lautete Miranda, und sie langweilte sich oft. Eines Tages kam ihr zu Ohren, dass sich im benachbarten Königreich ein Unglück zugetragen hatte. Über Nacht war Prinz Julian, der einzige Sohn des Nachbarkönigs, verschwunden. Man hatte das Königreich bis in jeden Winkel abgesucht, den Prinzen aber nicht finden können. Immer wenn im Königreich jemand verschwand, Kinder oder Frauen, Fürsten oder Bauern, ließ sich fast sicher annehmen, die Verschwundenen befänden sich nun im Winterwald, jenem Gebiet, das die beiden Königreiche voneinander trennte.
    Als die Prinzessin vom entführten Prinzen hörte, dachte sie: Ach. Und: Das ist ja interessant. Zu ihrer Hofdame sagte sie: »Wie gut, dass ich nun Bescheid weiß; wer außer mir wäre schon in der Lage und bereit, einen Prinzen zu retten? Die Prinzessinnen sitzen alle in den Fenstern ihrer Schlösser und spielen Harfe, und die Prinzen, die wollen bloß Prinzessinnen retten oder wenigstens unter ihren Fenstern stehen und dem Spiel ihrer Harfe lauschen.«
    Um Prinzen in Not, das hatte Prinzessin Miranda richtig erkannt, war es schlecht bestellt in dieser Welt.
    »Es gibt nur ein Hindernis«, sagte die Prinzessin, nachdem ihr der Kundschafter von der misslichen Lage des Prinzen berichtet hatte. »In den Winterwald wollte ich niemals reisen.«
    »Prinzessinnen können das auch überhaupt nicht«, erklärte der Kundschafter.
    »Und warum nicht?«, erkundigte sich Prinzessin Miranda, die für alles immer eine Erklärung haben wollte. Es war nie damit getan, zu sagen: »Diese goldene Spindel darf nicht angefasst werden.« Oder: »Dieser Frosch muss geküsst werden.«
    »Ja, aber dafür muss es doch einen Grund geben!«, pflegte sie auszurufen und trieb so ihre Mutter, ihren Vater sowie alle Berater und alle Hofnarren und alle guten Feen und alle bösen in den Wahnsinn. Denn im Königreich war es wie überall sonst auch in der Welt: Für das meiste gibt es überhaupt keinen Grund.
    Der Kundschafter, der bereits um diese Marotte der Prinzessin wusste, war vorbereitet. »Eine Prinzessin, ganz in Seide gekleidet, würde erfrieren, ihr Goldgeschmeide und ihre Krone würden sich in den Ästen und Zweigen verfangen. Sie würde stolpern und in den Sumpf fallen oder in einen eiskalten Bach. Dort würde sie ersticken oder ertrinken, sie könnte sich nicht zur Wehr setzen gegen die Bären, die Füchse, die Wölfe. Sie würde zerfetzt und gefressen werden. Und selbst wenn sie all das überstünde, wäre sie gegen eines machtlos.«
    Der Kundschafter warf der Prinzessin einen bedeutungsvollen Blick zu, denn er nahm an, jemand werde sie schon über das eine in Kenntnis gesetzt haben, gegen das nicht nur Prinzessinnen, sondern jeder Mensch und jedes Tier und jedes andere Geschöpf machtlos war. Es entging ihm, dass das Königspaar gleichzeitig die Köpfe schüttelte und lautlos die Worte »Nicht, nicht« mit den Lippen formte. Die Prinzessin breitete ratlos die Arme aus, denn ihr war schleierhaft, wovon der Kundschafter sprach. »Erzähl ihr bloß nichts davon«, hatte die Königin ihren Gatten vor vielen Jahren gewarnt. »Weißt du noch, als sie von der goldenen Spindel erfahren hat? Die musste sie auch gleich anfassen.«
    Doch weil der Kundschafter das Kopfschütteln nicht sah und das lautlose Flüstern nicht hörte, sagte er: »Der Jäger natürlich, Euer Majestät.«
    Auf ihren Thronen sanken der König und die Königin zusammen.
    »Wer?«, fragte Miranda.
    Da aber hatte der König bereits den Wachen zugewinkt, und sie waren herbeigekommen, um den Kundschafter aus dem Thronsaal zu zerren. Er sollte nun einige Wochen in einem Verlies darben und anschließend enthauptet werden.
    Wenig später aber musste das Königspaar feststellen, dass das Unglück bereits seinen Lauf genommen hatte. Keinen Tag ließ Prinzessin Miranda verstreichen, an dem sie die Eltern nicht nach dem Jäger fragte. Als die ihr keine Auskunft erteilen wollten, fragte sie die erste Hofdame und die zweite und sogar die dritte. »Wir wissen nichts«, behaupteten alle drei, obwohl sie in Wahrheit einiges wussten. Ähnlich verhielt es sich mit dem Koch, dem Reitmeister, den Rittern und dem Hofnarr. Niemand wollte der Prinzessin Auskunft erteilen. Weil Miranda nicht so leicht aufgab und außerdem viel Zeit zum Nachdenken hatte, zerbrach sie sich so lange

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