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Das Fremde Meer: Roman (German Edition)

Das Fremde Meer: Roman (German Edition)

Titel: Das Fremde Meer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Hartwell
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den Winterwald? Willst du wirklich dem Jäger gegenübertreten? Nein, dachte sie, eigentlich nicht. Ratlos riss sie einige Grashalme aus und warf sie ins Feuer. Jetzt bräuchte ich eine Fee oder einen weisen Zauberer, dachte sie und spähte hoffnungsvoll in den Wald. Aber keine Fee erschien und auch kein weiser Zauberer. Sondern bloß eine menschengroße Fledermaus.
    Miran sprang erschrocken auf und zog ihr Schwert.
    Die Fledermaus flatterte matt mit ihren Flügeln. »Nein, ich bin kein Feind. Ich bin bloß die Vertretung. Die weisen Zauberer hatten keine Zeit, und den Feen schien der Fall zu anrüchig, Prinzessin, die ein Ritter werden will … Deswegen haben sie mich geschickt.«
    »Wozu?«, fragte Miran. »Wozu haben sie dich geschickt?«
    »Damit ich dir den weisen Rat geben kann.«
    Miran war sich nicht sicher, ob sie dem Rat einer menschengroßen Fledermaus trauen konnte, durfte vermutlich aber nicht allzu wählerisch sein.
    Die Fledermaus seufzte. »Du brauchst den magischen Schlüssel.«
    Miran hob die Augenbrauen. »Den magischen Schlüssel? Um in den Wald reinzukommen?«
    »Nein, das nicht. Es ist verzwickter. Du wirst schon merken, wenn es so weit ist. Jedenfalls brauchst du den Wald ohne Schlüssel erst gar nicht betreten.«
    »Aber ich habe nun mal keinen Schlüssel«, warf Miran ein.
    »Deswegen erkläre ich dir ja auch gerade, wo du ihn herbekommst«, schrie die Fledermaus. Ihre Stimme war in eine schrille Tonlage verrutscht, und Miran presste die Hände auf die Ohren.
    Die Fledermaus räusperte sich. »Entschuldige, wie gesagt, ich bin nur die Vertretung. Weise Worte liegen mir im Grunde nicht.«
    »Jedenfalls«, setzte die Fledermaus wieder an, »musst du nun den magischen Schlüssel aus den heißesten Flammen, der glühendsten Glut hervorholen.«
    Die Fledermaus nickte in Richtung des Feuers. Verwirrt sah Miran in die Flammen.
    »Ich soll einen Schlüssel dort rausholen? Aber wo kommt er her? Als ich das Feuer entfacht habe, war da kein Schlüssel.«
    »Deswegen«, erklärte die Fledermaus, sichtlich um einen ruhigen Ton bemüht, »nennt man ihn auch den › magischen Schlüssel ‹ .«
    Miran setzte sich vor das Feuer und stocherte mit einem Stock in der Glut. »Du kannst dir das wahrscheinlich nicht vorstellen, aber es ist sehr unangenehm, ins Feuer zu fassen.«
    Die Fledermaus ließ sich neben Miran nieder und legte ihr eine Kralle auf die Schulter. »Ich weiß, das sind nicht unbedingt gute Neuigkeiten. Aber wenn der Schlüssel für dich bestimmt ist, dann wirst du ihn aus den Flammen ziehen können, ohne Schaden zu nehmen.«
    Miran schaute in das Feuer. Und was, wenn der Schlüssel nicht für sie bestimmt war? Sorgenvoll betrachtete sie ihre Hand und setzte gerade an, mit der Fledermaus in weitere Verhandlungen zu treten, als sie ein Glitzern in den Flammen bemerkte. Sie beugte sich ein Stück vor und erkannte einen silbernen, schweren Schlüssel. Zögernd streckte sie die Hand aus und wappnete sich innerlich für den unvermeidbaren, brennenden Schmerz. Doch selbiger blieb aus. Sie spürte nichts, sicher keine Hitze, vielleicht einen Anflug von Kühle, eine leichte Taubheit, die ihr durch die Fingerspitzen und bis ins Handgelenk kroch. Das vormals rötliche Feuer schimmerte grün. Und in den Flammen glaubte Miran etwas zu erkennen – Häuser womöglich? Einen schäbigen Sessel, einen Mann, bleich wie ein Gespenst? Da ertasteten ihre Finger den Schlüssel, und ein gleißender Schmerz fuhr ihr in den Schädel. Fast wäre sie vornüber und in die Flammen gekippt, hätte die Fledermaus sie nicht aufgefangen.
    Ihre nächsten Worte sprach die Fledermaus mit einer eindringlichen, tiefen Stimme, die Miran seltsam vertraut schien.
    »Majestätische Majestät, du bist nun die Trägerin des magischen Schlüssels«, sagte die Fledermaus feierlich. Miran öffnete die Augen und blickte auf ihre Hand hinab. Darin lag der Schlüssel. Sie musterte das schlichte Silber und die angekratzte Oberfläche. Und für eine Zeitspanne, die so kurz war, dass man sie nicht »einen kurzen Moment« und nicht einmal »den Bruchteil einer Sekunde« nennen könnte , für diese sehr kurze Zeitspannesah Miran zwei Inseln und eine Fabrik, ein Schiff und ein Zelt. Und sie wusste von der Einsamkeit und von der Angst und vom Verschwinden und vom Hinabsteigen, vom Kämpfen und vom Aufsteigen, sie wusste vom Schlafen. Und sie wusste vom Aufwachen.
    Die Fledermaus atmete erleichtert auf. Auch Miran atmete in lauten Stößen, so wie

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