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Das Fremde Meer: Roman (German Edition)

Das Fremde Meer: Roman (German Edition)

Titel: Das Fremde Meer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Hartwell
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zu lassen, so lange und so oft, bis er ihren Klang immer in sich trägt. Nach wie vor zittern seine Hände, seine Beine, es ist eine unvorstellbare Erleichterung, die sich in ihm ausbreitet und so schwerelos zurücklässt, dass er fürchtet, sich von den Stufen zu lösen und sitzend aufzusteigen.
    Langsam nickt er.
    »Das ist gut«, sagt Per. »Kannst du dich an deinen Namen erinnern? Weißt du, wie du heißt?«
    Etwas muss von Jaspers Antwort abhängen, denn Per stellt die beiden Fragen mit Bedacht, jedes Wort kommt mit einem eigenen Gewicht, einer besonderen Betonung daher. Jasper schluckt, sein Mund ist trocken, plötzlich scheint es ihm eine Herausforderung, die Laute in den Mund und über die Lippen zu bringen.
    »Jasper«, antwortet er, und seine Stimme klingt weder heiser noch zittrig.
    »Ich bin Per«, sagt der andere und deutet auf das Schild an seiner Brust. »Und ich glaube, dass ich dir helfen kann.«
    »Wobei?«, fragt Jasper.
    Eine graue Gestalt geistert durch das Treppenhaus weiter über ihnen. Obwohl sie keine Anstalten macht, zu ihnen herunterzukommen, verstummt Per. Er legt den Kopf in den Nacken und späht hinauf. Auch nachdem der Passagier verschwunden ist, lässt Per einige Sekunden verstreichen, bevor er sich neben Jasper setzt und weiterspricht.
    »Von dem Schiff zu kommen«, flüstert er, nun so leise, dass Jasper glaubt, ihn nicht richtig verstanden zu haben.
    »Von dem Sch-«, wiederholt er, als Per hastig den Kopf schüttelt.
    »Leise«, mahnt er. »Der Kapitän darf uns nicht hören.«
    Angespannt horcht Per ins Treppenhaus. Als weder Schritte noch Stimmen erklingen, wendet er sich wieder Jasper zu.
    »Gib mir deinen Arm«, sagt er, und noch bevor Jasper etwas erwidern kann, umfasst Per sein Handgelenk. Nach einigen Sekunden lässt er ihn los und runzelt die Stirn. »Das muss nichts heißen«, murmelt er.
    Verwundert reibt Jasper sein Handgelenk. Ihn beschleicht das beklemmende Gefühl, einen entscheidenden Test nicht bestanden zu haben.
    »Fühl deinen Puls«, sagt Per und deutet mit einem kurzen Kopfnicken auf Jaspers Arm.
    Jasper tut wie geheißen und umfasst sein Handgelenk. Er wartet, fühlt und fühlt nichts. Aber da sollte etwas klopfen, etwas pochen. Unter Pers erwartungsvollem Blick weicht er zurück. Er vergisst die Treppe in seinem Rücken und fällt über die unterste Stufe. Als Per ihm aufhelfen will, stößt er ihn zurück.
    »Das muss nichts heißen, es ist nie so einfach«, sagt Per beschwichtigend, während Jasper sich aufrichtet.
    »Was ist nie so einfach?«, fragt Jasper, der längst vergessen hat zu flüstern. »Was muss noch nichts heißen? Ich weiß nicht, wo ich hier bin. Ich weiß nicht …« Er bricht ab. »Bin ich tot?«
    »Du gehörst nicht zu den Lebenden und nicht zu den Toten. Das wird sich ändern, wenn du auf dem Schiff bleibst.«
    »Wieso? Wohin fährt es?«
    »Zu einem anderen Ort.«
    »Ich verstehe nicht …«
    »Es gibt auch nichts zu verstehen. Den anderen Ort versteht man, wenn man dort ist. Wir hier, wir haben keine Worte für ihn und keine Bilder.«
    Jasper reibt seine Schläfen, wie um durch das gleichmäßige Kreisen Ordnung und Sinn in Pers Worte zu bringen. »Du hast vorhin gesagt, dass du mich von dem Schiff bringen kannst?«
    »Ich nicht, nein. Aber ich kenne jemanden, der es kann. Eine Person auf dem Schiff. Ich arbeite für sie. Aber sie hilft nur denen, die nicht hierhergehören, die wegen eines Irrtums hier sind.«
    »Und ich bin wegen eines Irrtums hier?«
    »Möglich. Du hörst mich, du sprichst. Du kennst deinen Namen. Du hast deine Worte noch beieinander. Aber dein Herz schlägt nicht.« Per wiegt den Kopf. »Ich weiß nicht. Es ist ein großes Risiko. Ich bräuchte irgendetwas. Ein Zeichen. Einen Beweis.«
    Jasper betrachtet seine Hände, seine Füße. Gibt es irgendetwas an ihm, in ihm, das über ein stillgestelltes Herz hinwegtäuschen könnte? Aber er ist nicht einmal sicher, ob Per nach einer Auffälligkeit seines Körpers sucht, einem Muttermal, einer Narbe, oder ob er ein besonderes Kunststück von Jasper erwartet, einen Trick.
    Ratlos sehen sie einander an, bis Per sich mit einem Ruck erhebt. »Es tut mir leid«, sagt er, beugt sich zu Jasper hinab und legt ihm eine Hand auf die Schulter. »Wenn wir dich zurückbringen würden, obwohl du hierhergehörst – damit wäre niemandem geholfen.« Er sieht sich um. »Hör zu, ich muss weiter. Wenn der Kapitän bemerkt, dass ich mich mit dir unterhalte, bringe ich damit alle in

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