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Das Frühlingsfest

Das Frühlingsfest

Titel: Das Frühlingsfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. K. Bloemberg
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interessant zu werden und würde erst tief in der Nacht enden. Zahllose Diener flanierten in der Burg und auf den grünen Hügeln außerhalb, um den Gästen jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Es bildeten sich kleine Gesellschaften, die sich eine Weile unterhielten, kokettierten, Informationen austauschten und dann auflösten, um sich in anderer Zusammensetzung neu zu bilden.
    Ein Diener beobachtete das Treiben von einem Hügel vor dem Schloss und erkannte, wie sich insbesondere um kichernde, schöne Frauen Männertrauben bildeten, deren Intelligenz durch die weiblichen Reize getrübt wurden. Er fragte sich lächelnd, welche Überraschungen die Festgesellschaft am Abend erwarten würde und er war sich sicher, dass nachts zumindestens eine Überraschung ihre Aufwartung machen würde.
    Er drehte sich vom Schloss fort, schritt weiter zu seinem eigentlichen Ziel und bemühte sich, das silberne Tablett mit den Getränken waagerecht zu halten, um keinen Tropfen des köstlichen Weinnektars zu verschütten. Der berühmte Maler Lucien würde sicherlich durstig sein und der Diener war neugierig, welches Werk er an diesem Tage vollenden würde. So hatte der Diener weise entschieden, dienstliche Beflissenheit und Neugier zu verbinden und sich auf die Suche nach dem Maître des Pinsels zu machen. Bereits aus der Ferne erkannte er, dass dieser seine Staffelei aufgebaut und sich längst emsig in die Arbeit gestürzt hatte. Er trug nicht wie viele andere die obligatorische Lockenperücke, denn über solche gesellschaftlichen Konventionen setzten sich wahre Künstler ungefragt hinweg. Sein dunkelgraues Haupthaar stand wirr und wie ein Strahlenkranz um die Sonne in alle Richtungen ab. Da er mit dem Rücken zu ihm saß und die Staffelei den Blick auf das Objekt, welches er malte, verdeckte, vermutete der Diener, dass Lucien am heutigen Tag das Schloss und das rege, frivole Treiben malen würde. Als er schließlich näher kam, war er gezwungen, seine Ansicht zu revidieren und lächelte über den naheliegenden Gedanken, dass das Objekt darüber hinaus erklärte, warum dem Meister die Haare zu Berge standen. Sicherlich nicht aus Entsetzen, denn nah vor ihm saß eine bezaubernde, junge Dame. Ihr ausladender, roséfarbener Hut harmonierte wunderbar mit dem festlichen Kleid, das sich wie ein Blütenteppich um sie herum ausbreitete. Die Hutfarbe kontrastierte mit dem Busen, dessen kleine Kronen sich keck der Sonne entgegenzurecken schienen, denn das Brustteil des Kleides hatte die Dame aufgeknöpft und heruntergeschoben. Soeben machte sie Anstalten, aufzustehen, um sich des Kleides ganz zu entledigen, als der Meister aufschrie und mit den Händen herumwirbelte. »Non, mein Edelfräulein, non! Nur der Busen, nur der Busen. Ein Künstler darf sich immer nur auf einen Glanz konzentrieren, will er nicht erblinden!«, rief er entsetzt und seine wirren Haare wackelten wie Zuckerwatte.
    »Ganz wie Ihr wünscht, Meister Lucien«, gurrte die Edeldame und ihr wimpernkokettierendes Augenblinzeln hätte selbst einen Gott zum Schmelzen gebracht. Der Diener schluckte. Eine Adlige nackt vor ihm. Er hofft sehr, dass ihm diese unfreiwillig miterlebte Szene keinen Ärger einbrachte, doch die Edeldame schien vollständig auf den Maler fokussiert zu sein. Dieser hatte den Kopf gesenkt, mit Zeigefinger und Daumen die Nasenwurzel gerieben, um sich zu konzentrieren, bevor er sich tief einatmend an die Arbeit machte und den Pinsel schwang. Fasziniert wurde der Diener Zeuge, wie der Meister innerhalb von Sekunden bereits erste Umrisse zeichnete und er blinzelte, als ihm gewahr wurde, was der Meister beabsichtigte. Des Edelfräuleins großer Busen nahm fast die gesamte Leinwand ein, lediglich ein kleiner Ausschnitt im Hintergrund war dem Schloss vorbehalten.
    Er erinnerte sich an seine Aufgaben, überbrückte die Distanz zu Lucien mit drei Schritten und bot dem Maler ein Getränk an. Doch dieser schien ihn überhaupt nicht wahrzunehmen, pinselte stöhnend und wurde immer hektischer in seiner Malerei.
    Der Diener nickte mitfühlend. Ein wahrer Künstler verspürte sicherlich einen Schmerz, bis er sein Meisterwerk in erschöpfender Arbeit vollendet hatte. Wie sehr er sich irrte, wurde dem Diener erst bewusst, als er sah, wo sich die zweite Hand des Malers befand. Längst hatte sie den Fleischpinsel befreit und rieb ihn heftig, während er gierig auf die Hügel der Edeldame blickte, die immer noch augenklimpernd vor ihm saß. Plötzlich brach der Meister Malen und

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