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Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition)

Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition)

Titel: Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kluge
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GROSSE REVOLUTION , d. h. die Umkreisung des Zentrums der Milchstraße durch unsere Sonne. Benjamins Schüler Czernowitz hielt dies für eine brauchbare Metapher für die politische Revolution, die historisch immer nur kurzatmig aufgetreten sei. Sie müsse sich am ruhigen Schwung der GROSSEN REVOLUTION orientieren. Der Pfeil zeigt die Richtung der Milchstraße, die auf ihre Geschwistergalaxie, den Andromeda-Nebel, zueilt.
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    Abb.: Die Politkommissarin Datschweskaja und ihr Bruder. Mit starker Anziehungskraft füreinander. Beide waren »der Sache« verschrieben. Wäre ihr Bruder abtrünnig geworden, hätte sie ihn erschossen. Die Pistole trug sie stets am Gürtel. Kein einziges Mal in ihrer Laufbahn mußte sie dieses Werkzeug benutzen. Eine natürliche Autorität, die sie um sich herum verbreitete, verschaffte ihr Überzeugungskraft. Wo sie war, blieb die Revolution siegreich. Später strandete sie, wie viele Genossinnen, in der bürokratischen Wüste. Wie ihr Bruder wurde sie 1937 exekutiert. Anders wäre »das System« mit ihr nicht fertig geworden. In ihren Glanzzeiten hieß sie die »Jungfrau von Orenburg«. Das Bild zeigt sie 1919 mit dem Bruder in Orenburg, südwestlich des Ural.
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    Abb.: Der Galaxienhaufen Abell 2218 im 2 Milliarden Lichtjahre entfernten Sternenbild Drache. Die gewaltigen Anziehungskräfte lassen die Milchstraßen umeinander tanzen. Die gleiche Fernwirkung faßt die Schwärme zu GRAVITATIONSLINSEN zusammen. Sie bewirken, daß die Galaxien an fiktiven Orten in Erscheinung treten. Insofern schreibe, so Xaver Holtzmann, der Kosmos Romane.
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    Abb.: Die Konstellation der Plejaden. Aus Galileis Sternenbotschaft von 1610.
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    Abb.: Honoré de Balzac und das Prinzip der LITERARISCHEN KONSTELLATIONEN .
    In seiner Vorrede zur Menschlichen Komödie bezeichnet sich Balzac als einen Archäologen des sozialen Apparates, einen Registrator des Guten und Bösen. Der Zufall sei der größte Romandichter der Welt. So sei die französische Gesellschaft der Historiker, er, Balzac, nur ihr Sekretär. Es sei vergebliche Mühe, durch Metaphern und einzelne Romane mit der Vielfalt der gesellschaftlichen Ereignisse zu wetteifern. Vielmehr gehe es darum (und das sei das Prinzip seines Werkes), durch Nebeneinanderordnung eine vollständige Kartographierung der Geschichte zu erreichen, einen Text, in dem jedes Kapitel ein Roman und jeder Roman eine Zeitgeschichte sei. Dies sei das Prinzip der Konstellation, frei beweglich, so wie die Himmelskörper umeinander kreisen. Bei aller Verehrung für die Romane Walter Scotts sei er somit ein Anti-Scott. 100 Jahre später nimmt Sergej Eisenstein dieses Erzählprinzip auf, indem er eine KUGELFÖRMIGE DRAMATURGIE und KUGELBÜCHER vorschlägt: Um ein Zentrum bewegen sich auf der Kugeloberfläche, aber attrahiert vom Zentrum, die einzelnen Geschichten. Es bestehe jedoch, sagt Eisenstein, in Anknüpfung an Autoren des babylonischen Talmuds, zwischen der Oberfläche und dem Kern Dialektik. Die Oberfläche sei zugleich der Kern. Der Kern aber erweise sich, sobald man von ihm erzähle, d. h. ihn entfalte, als reiche Oberfläche.

    Abb.: Sergej Eisenstein mit Bert Brecht (1929). »Jeder meiner Texte ist von einem unsichtbaren Zentrum gleich weit entfernt.«
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    Wo ist das Zentrum?
    schrie Rabbi Madies,
    das verschmähte Wasser erlaubt es dem Falken,
    seine Beute zu verfolgen.
    Das Zentrum ist vielleicht die Verschiebung der Frage.

    Abb.: Erdensohn 2009. Fotografie des chinesischen Künstlers Liu Zheng. →
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    Abb.: Peter Weibel ergänzt, unter Bezugnahme auf Benjamins Gefährten Czernowitz, das KONSTELLATIONS - und KUGELPRINZIP des Erzählens (in allen Künsten, d. h. auch in der Musik) durch das Prinzip der PERMANENTEN TRANSKRIPTE . So schreibe ein Mönch zum Beispiel im Mittelalter Texte ab, bei jeder Abschrift entstünden kleine Fehler, am Ende habe man (wie in der Evolution) einen neuen Text. Moderne Autoren sollten daher ältere Entwürfe, zum Beispiel Goethes Wahlverwandtschaften oder das Quartett von Heiner Müller, immer neu überschreiben, so daß sich doch in der Zeit ein »glücklicherer Ausgang der traurigen Geschichten« ergeben könnte. Die Modernität liege also nicht in etwas Neuem, sondern in der Transkription einer Vorgeschichte zu einem besseren Ende.
Teestunde mit Akademikern
    Sie traf pünktlich ein, wie er es gesagt hatte. Der Kerl, der ihr von der Straßenbahnhaltestelle bis hierher gefolgt war, stand in ihrem Rücken. Sie spürte die

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