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Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition)

Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition)

Titel: Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kluge
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freizulassen, die für die Festnahme verantwortlichen Behördenchefs, z. B. der Polizeipräsident, dagegen sollen statt ihrer in die Anstalt eingewiesen werden.

    »Gisela raus,
    Müller rein.«
    Zivilfahnder – sie spielen die Rolle von »Nachbarn« – notieren die Nummern der Korsofahrzeuge. Sie zählen sie »negativ«, d. h., sie notieren die zahlenmäßige Schwäche dieser Gruppierung, gemessen an der Gesamtzahl von Fahrzeugen, die Frankfurts Straßen täglich befahren. Für den Fahnder Ferdi Quecke ist die Zahl von 46 Fahrzeugen (für das Auge immerhin eine täuschend stattliche Gruppe) kein befriedigendes Resultat. Es sind zu wenige, um seine Arbeit (die seiner Planstelle) im gesellschaftlichen Sinne wichtig zu machen. Was wäre, wenn es z. B. 7250 Fahrzeuge wären? Dann wäre seine Berufsausübung ein gefährlicher Job.

    Abb.: Justizgebäude. Studentische Demonstration im Straßenzug zwischen Landgericht und Oberlandesgericht. »Festung Justiz«.
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    Abb.: Störung des Galaabends der SPORTHILFE im Schauspielhaus Frankfurt durch Studenten. Anwesend: Wirtschaft, Banken, Presse, Politik. Im Bild das Fahrzeug von Altbundeskanzler Ludwig Erhard. Der Fahrer hat die richtige Einfahrt in das eingezäunte Areal verfehlt.
12
»Louis, ich glaube, dies ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft ...«
    Vereinbart war ein gemeinsames Abendessen im Weinlokal »Rheingold« gegenüber dem Bühneneingang der Oper. Luhmann hielt die Einladung für eine Höflichkeitsgeste Adornos; wenn er ihn schon in diesem Semester vertrat, konnte man nicht gut darauf verzichten, sich zu sehen. Es erwies sich aber, daß Luhmann irrte. Adorno hatte nicht aus Gefälligkeit, sondern in einer Situation der Lebensnot diesen Kontakt gesucht.
    Luhmann bestellte rheinischen Sauerbraten. Adorno, der darum gebeten hatte, die Zeche zu zahlen, wählte eine Flasche Pfälzer Wein und ein Rumpsteak à la Voltaire. Luhmann hielt die Bestellung dieses Gerichts für philosophisch und nicht durch den Appetit begründet. Er prüfte später die Weinkarte und sah, daß Adorno auch in der Wahl des Weines vom Gedanken und nicht von der Zunge sich hatte leiten lassen. Er hatte den teuersten Wein bestellt, um den Wert der Begegnung zu verdeutlichen. So schilderte Luhmann später seinen Eindruck.
    Die Geliebte habe ihn verlassen. Jedem, der es anzuhören bereit war, berichtete Adorno in diesen Tagen sein Erlebnis. Er habe die Absicht, erläuterte er Luhmann, noch vor Abschluß seiner ÄSTHETISCHEN THEORIE , vor Inangriffnahme der Vorbereitung für das (Horkheimer und den Studenten versprochene) Seminar zum Kulturindustriekapitel der Dialektik der Aufklärung im Wintersemester 1969 und auch noch vor Niederlegung der Notizen zur DIALEKTIK VON SUBJEKT UND OBJEKT BEI HEGEL eine GENEALOGIE DER TREUE IN LIEBESANGELEGENHEITEN zu schreiben. Er könne das parallel zu Luhmanns SOZIOLOGIE DER LIEBE tun. Luhmann wandte ein, das Seminar heiße inzwischen LIEBE ALS PASSION . EINE ÜBUNG . Um so besser, erwiderte Adorno, dann könne man seine und Luhmanns Arbeit gemeinsam publizieren und so – in Gegenbewegung zum studentischen Zeitgeist, nämlich auf das Wesentliche konzentriert, sozusagen als Beispiel GROSSER KOOPERATION – ein doppeltes Semesterergebnis vorlegen, ein öffentliches Zeichen setzen.
    Man könne aber nicht seine persönlichen Liebesgeschichten öffentlich ausbreiten, meinte Luhmann. Wie solle er sich denn praktisch verhalten, fragte Adorno zurück. Ohne die Geliebte werde er es im Leben nicht aushalten. Die Wiederherstellung ( restitutio in integrum ) der Beziehung sei auch deshalb erforderlich, um den grauenvollen Gedanken abzumildern, daß es mit ihm zu Ende gehe, gleich ob physisch oder geistig. Luhmann ließ sich den Sachverhalt schildern. 33
    Es war offensichtlich, daß die Geliebte, die in einer anderen Stadt lebte, sich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befand und von einem wohlhabenden Musikschaffenden umworben wurde. Sie hatte sich extrem beleidigend geäußert, weil ihr die Trennung von Adorno wohl schwerfiel. Oder aber sie war eine Natur, die mit Entscheidungen und Trennungen nicht vertraut war und schon deshalb zu einem falschen Ton in dieser Situation neigte. Luhmann riet zum Angebot einer Apanage, einer großzügigen wirtschaftlichen Ausstattung der Freundin. Dann könne über eine Periode der Freundschaft hinweg die frühere Intimität erneut gesucht werden. Die Apanage sei nicht in einem Verhältnis von Leistung und Gegenleistung

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