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Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition)

Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition)

Titel: Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kluge
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Grausamkeit gegenüber dem Gegner. Hier in der Kleinstadt waren alle Angehörige der Bewegung gewesen. Er beantwortete die Fragen des Tribunals entschlossen und aufrichtig.
    Er bekannte sich also dazu, Faschist gewesen zu sein, zugleich stellte er fest, daß nach dem Zusammenbruch der Republik man kein Faschist mehr sein könne, mangels dafür geeigneter Wirklichkeit. In erster Linie sei er Philologe und sein Boden sei das Vaterland der Worte.
    Das wurde mit einer Brandrede des Anklägers und abfälligen Äußerungen der Beisitzer beantwortet. Das Verhör wandte sich dem Mitgefangenen zu, einem politischen Amtsleiter, der keine Schonung erwarten konnte. Jede Aussage dieses Mitangeklagten kontaminierte aber auch den Lehrer, weil eine Gesamtstimmung zugunsten der Verurteilung entstand. Die Zentrale, welche die Bewaffneten hierher dirigiert hatte, war bemüht, Norditalien mit den von Südosten über Istrien herandrängenden Partisanen Titos zu fusionieren. Nach klassischer Revolutionstheorie mußte für den Erfolg des Aufstands ein SCHRECKEN verbreitet werden, da die Bevölkerung andernfalls nach Befreiung von der deutschen Besetzung in ihre alte Trägheit zurückfallen würde. Die Aburteilung von Angeklagten durch Volksgerichte hatte insofern einen klaren Zweck: den Ernst der Lage zu demonstrieren. Daß hier Leben eingesetzt wurden, war das Zeichen. Es war nicht wichtig, an welchem Einzelnen das Opfer exemplifiziert wurde.

    Abb.: Carpanedo in der Provinz Venezien, 30. April 1945. Prozeß gegen den Lehrer Tullio Santi. Vor dem Tribunal der Partisanen betont er seinen faschistischen Glauben, da er es vorzieht zu sterben, ehe er wortbrüchig wird. Was nutzt der neuen Zeit eine Wetterfahne, sagt er, wenn sie doch Charaktere braucht.
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    Abb.: Ankläger, Abgesandter der Zentrale. Weißer Regenmantel, Armbinde.
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    Abb.: Das Gericht, bestehend aus Ortsfremden.
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    Abb.: Abführung zur Hinrichtung.
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LEBENSLÄUFE, DIE DURCH DAS JAHR 1945 DURCHKREUZT WERDEN
    Im Jahrhundert der Ingenieure wird Oberleutnant Boulanger 1941 in die Morde im Ostraum verwickelt. Er sieht Schwierigkeiten, seine Haltung nach 1949 einzuordnen, da er doch jetzt in einem ganz anderen Beruf und in einer viel vorsichtigeren Welt lebt. Ein Sichelschnitt trennt sein Leben in zwei Teile. → Oberleutnant Boulanger, Chronik der Gefühle , Band II , S. 677-687.
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    In einer Zeit, in der die Todesfälle inflationieren, reist der Ermittler Kriminalrat Scheliha (vom Reichskriminalhauptamt in Berlin) im Frühjahr 1945 nach Westpreußen. Er sucht Aufklärung in einem einzelnen Mordfall. Man sieht den Mörder, der sich in einer Kutsche nach Westen rettet, während der Kriminalist als Kriegsgefangener nach Osten geführt wird, von wo er nicht vor 1953 zurückkommen wird. → Hinscheiden einer Haltung: Kriminalrat Scheliha, Chronik der Gefühle , Band II , S. 688-697.
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    Der Altphilologe Eberhard Schincke trägt seinen Wanst (und seine Lateinkenntnisse) bei der Evakuierung von Schülern mit sich aufs Land; er faßt eine Zuneigung zu einem robusten jungen Mann namens Carlton, der in den Kriegswirren stirbt. Hilft Bildung in der Not? → E. Schincke, Chronik der Gefühle , Band II , S. 707-734.
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    Eine junge Strafgefangene, einsitzend in der Frauenstrafanstalt Frankfurt-Preungesheim: Ihre jüdischen Eltern wurden im Dritten Reich verfolgt. Gegen alle Wahrscheinlichkeit gerettet, gründen sie auf dem späteren Staatsgebiet der DDR ein gewerbliches Unternehmen. Als Kapitalisten werden sie enteignet. Die Tochter Anita G., die sozusagen bereits zwei Vaterländer auf diese Art kennengelernt hat, flieht in die Bundesrepublik. Sie stiehlt einer Arbeitskollegin den Pullover. »Kameradendiebstahl«, ein erschwerter Tatbestand. Nach Haftverbüßung durcheilt sie die Republik und sucht erneut Schutz im Gefängnis. → Anita G., Chronik der Gefühle , Band II , S. 734-748.

    Ein Jurist reinen Wassers. EIN MENSCH IN DER VERSCHANZUNG . In dieser Form erfahrungsreicher Vorsicht verfügt Amtsgerichtsrat Korti über ewiges Leben. → Korti, Chronik der Gefühle , Band II , S. 782-825.

    Ein Pädagoge, der sich verantwortlich weiß für die künftigen Generationen, sieht sich konfrontiert mit der Schulaufsicht der fünfziger Jahre. Keine Bildungsreform weit und breit. Als er einem Freund nicht zu helfen vermag, an dem ihm liegt, wechselt er den Beruf. → Ein Berufswechsel, Chronik der Gefühle , Band II , S. 773-782.

    Abb.: Anita G.
    Der lebensfrohe Manfred

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