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Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition)

Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition)

Titel: Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kluge
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Mord und Raub um sich greifen?
Dagegen gäbe es Selbsthilfekomitees. Die existieren nur deshalb nicht, weil Regierungsorgane vorhanden sind.
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    Der Enkel des ELAS -Kämpfers galt als Querkopf. Auch konnte er von seiner Gastprofessur aus nichts Praktisches in seinem Lande bewirken.

    Abb.: Universität Edinburgh. Heimstätte der »Griechen« David Hume und Walter Scott.
Der Lebenslauf einer fixen Idee
    Dr. Wilfried von Lerchenberg-Winnigerode, Enkel von Oberstudiendirektor Oberst a. D. Erich von Lerchenberg-Winnigerode, der 1941 in Theben befehligte und der nach dem Krieg durch seine Graeca Diversa bekannt wurde, hat in Harvard die merkwürdige Geschichte »Neugriechenlands« zu seinem Forschungsthema gemacht. DAS LAND DER GRIECHEN MIT DER SEELE SUCHEND schien ihm eine Parole, die einer genaueren Unterscheidung bedurfte. Und so wie die deutsche klassische Philosophie, Schinkels Bühnenbilder, die bauliche Anmutung der Hauptstadt Berlin im 19. Jahrhundert, die Herzstücke britischer Museen das Licht des antiken Griechenland tatsächlich widerspiegeln, so scheint Dr. Lerchenberg-Winnigerode die Inbesitznahme dieses Erbes durch die Gründung des Staates Hellas im 19. Jahrhundert auf Illusion gegründet. Mit seinen Untersuchungen wolle er, wie er sagt, nicht den Großvater exkulpieren, der 1941 jenes Land besetzt hielt, wohl aber unter Überspringung des Vaters, der als Banker in New York erfolgreich war, die Neugiertradition seiner Familie fortsetzen. Schon sein Urgroßvater war Philologe.
Ein unbezahlbares Motiv
    Ich stamme aus Görlitz. Als 20jähriger wurde ich als »junger Mann« in der Kanzlei eines Kirchenjuristen eingestellt, der zu den Dissidenten zählte, aber doch aufgrund seiner Positionen in der Kirche so viel Hintergrund besaß, daß seine Arbeit geduldet wurde. Dann war dieser Oppositionelle, für Jahre als Einzelner relativ ohnmächtig, für etwa sechs Wochen (bis Ende März 1990) vor Ort allmächtig. Alle vertrauten ihm. Er setzte darauf, mit den neuen Kräften des Landes ein EINIGES VATERLAND in den unumstößlichen Grenzen der DDR zu befestigen. Unsere Kanzlei spezialisierte sich auf die Abwehr korrupter Invasoren aus dem sogenannten Westen.
    Drei Jahre rangen wir mit Wirtschaftsprüfern, Investoren und schließlich der Treuhand um den Bestand wenigstens von Resten unserer Industrie. Danach mußten wir zugeben, daß wir auf unserem Landstrich eine Art »zweiter Kapitulation vom 8. Mai« erlebt hatten. Die alte Besatzungsmacht hatte seinerzeit auf den zweigleisigen Bahnlinien die eine Seite der Schienen abmontiert und nach Rußland verfrachtet. Die neue, nicht zentralistische, baute im Gegenteil neue Schienenstränge und verlegte Telefonnetze, auch neuartige Netze des Geldes. Unter ihrem Anhauch schmolzen aber unsere vaterländischen Produktionsbetriebe dahin, änderten Werte ihre Gestalt oder wechselten die Hände, ohne daß mit den Mitteln einer Rechtsanwaltspraxis dagegen etwas ausgerichtet werden konnte.
    Wir zogen uns in unsere »innere Republik« zurück; das war unter den gegebenen Umständen die Kirche, die einst, 500 Jahre zuvor, auch aus Not geboren worden war. Als »junger Mann« war ich Bürogehilfe gewesen. Jetzt beschritt ich den zweiten Bildungsweg, daraufhin Jurastudium mit Einser-Examen, Laufbahn im Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen. Mit 42 Jahren sehe ich mich heute vor eine Herausforderung gestellt, der ich unbefangener begegne als der Krise seinerzeit im eigenen Land. Auch fühle ich mich inzwischen »bewaffnet«, wenn man den Beruf des Juristen als die Rüstung des modernen Ritters auffaßt. Ich berate die Staatsregierung der Republik Hellas in Fragen der Privatisierung ihres öffentlichen Vermögens in der Form einer Treuhandverwaltung. Die Treuhand soll den Schuldenberg tilgen helfen. Die Kreditgeber treten in der Gestalt von Delegationen, Anwaltskanzleien, Lobbys auf. Der IWF und die Brüsseler Repräsentanten assistieren gewöhnlich den Kreditgebern. Zum Verkauf stehen Objekte wie: die Post, Restbesitz der Telekommunikation, Hafenanlagen in Saloniki und Felseninseln in der Ägäis, die von Menschen nicht bewohnt sind. Ergiebiger wären Kunstschätze und antik bebautes Gelände – solche Objekte bleiben nach dem Gesetz vom Verkauf ausgenommen.
    Nachdem die Treuhandlösung unter dem Druck von PM Juncker in der vergangenen Woche zugestanden worden ist, fordern die Kreditgeber nunmehr als zweiten Schritt eine Vorabausschüttung dieser

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