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Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition)

Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition)

Titel: Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kluge
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göttlichen Ursprungs oder Nachahmer des Zeus sind, so wie der diskrete Roman den endgültigen Liebhaber der Prinzessin nicht verrät.
    Niebelschütz schrieb in der Zeit, als deutsche Truppen die Ionischen Inseln besetzt hielten. Was er nicht wissen konnte, war, daß der Stabsarzt Dr. Fred Dedeleben auf der Insel Patmos (gleich neben derjenigen, auf welcher der Roman spielt) tatsächlich bei militärisch begründeter Sektion einen offenbar nicht-irdischen Körper entdeckte. Die Organe lagen nicht symmetrisch geordnet, der Blutkreislauf war nur zum Schein angelegt, während ein Netzwerk fremdartiger Gefäße über Kanäle und osmotische Gebilde, die uns unbekannt sind, einen freien Fluß offenbar geistiger (oder aber gasförmiger) Energie in diesem Körper ermöglichte. Bei Berührung mit dem Seziermesser reagierten die Gefäße mit einem bläulich fluoreszierenden Leuchten. Der Arzt brachte Fragmente dieses seltsamen Befundes in Einweckgläsern auf Reichsgebiet zurück, wo aber keine »Belebung« im Sinne des seinerzeitigen Leuchtens wiederholt werden konnte. Stein auf Bein schwor der Stabsarzt auf das, was er selbst beobachtet hatte, und er widerrief auch nicht vor der Kommission der Ärztekammer im Jahr 1952. Ja, bestätigte er, er habe die Hülle eines Unsterblichen seziert, zurückgelassen von einem Geschöpf, das diese Hülle nicht mehr gebraucht habe. Was das fremde Lebewesen, göttlich oder nicht, während der deutschen Besetzung im heiligen Griechenland gewollt hatte, blieb unaufgeklärt.
Goethe und die GriechenfreiheitEin Kontakt über die Zeiten hinweg
    Der Gelehrte Ernst Robert Curtius ( Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter ), geboren 1886, kannte noch eine alte Frau, die als junges Mädchen von Goethe aus dessen Garten weggescheucht worden war, so berichtet Jörg Drews, der es vom Hörensagen weiß. Die Kinder wollten seinerzeit dort nicht Obst stehlen, sondern spielen. Unwirsch habe der alte Herr sie zum Verlassen des Geländes aufgefordert, mit einer heftigen Handbewegung, repetitiv, sie zu jener Lücke des Staketenzaunes geleitet, durch den sie eingedrungen waren. Dann habe er noch Zeit verbraucht, die ungesicherte Stelle seines Eigentums zu verbarrikadieren. Die Zeit sei ihm vom Dichten abgegangen. Es hätte ein Gärtnerbursche ausgereicht, um die Kinder aus dem Garten zu entfernen, habe Ernst Robert Curtius kommentiert. Die alte Frau wiederum habe, so Curtius und nach ihm Drews, den Eindruck von Ungeduld, ja einer gewissen Hektik des alten Herrn erwähnt. Nachträglich, in ihrem Erwachsenenalter, hätte sich diese Frau ein Gespräch mit dem Autor gewünscht, von dessen Berühmtheit sie inzwischen erfahren hatte. Gestisch hatte sie ihn ja kennengelernt. Er hätte, sagte sie, den Lärm im Garten dulden sollen. Kinder seien wie Blumen, darüber hätte er eine Zeile Lyrik verfassen sollen.
    Man kann aber, weil das Kind, die spätere alte Frau, die mit Curtius redete, noch am selben Abend sich den Fuß brach und dies sich im Tagebuch ihres Vaters, eines gebildeten Weimarer Bürgers, notiert findet, das Datum jenes Tages, an welchem Goethe durch die Invasion der Kinder und die anschließende Vermauerung seines Gartens viel Zeit verlor, genau bestimmen. Von diesem Tag stammen eine Reihe fragmentarischer Verse. Die Philologen streiten, ob sie zu den neugriechischen »Liebe-Skolien« zählen oder zu den neugriechisch-epirotischen Heldenliedern, sagte Drews. Offenbar arbeitete der durch die Kinder momentan abgelenkte, vielleicht auch nur durch das Eindringen in sein Eigentum irgendwie irritierte Geist im Jahre 1826 sehr konzentriert.
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    »Wiese sagte: ›Geh nach Haus‹ /
    Siehst mir gar zu traurig aus /
    Möchte selber trauern«
    Nach einigen unleserlichen Notizen heißt es:
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    »Die Nachtigall, sie war entfernt /
    Was Neues hat sie nicht gelernt /
    Singt alte, liebe Lieder«
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    Eine weitere Notiz:
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    »Sei der Sklave Stadtbewohner /
    Stadtbezirk ist unsern Braven /
    Wüster Felsen Klippenspalte«
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    Aus dem Zusammenhang der Notizen ergibt sich, daß es sich bei »unsern Braven« um Aufständische des Peloponnes handelt. Der Aufruhr gegen die türkische Herrschaft ging vom Lande aus (soweit er nicht von aus dem Ausland angelandeten Philhellenen, Söldnern und Freiwilligen durchgeführt wurde). Die Städte blieben lange Zeit türkisch-phanariotisch gesinnt. Sie konnten vom Aufstand nicht leben, kommentiert Drews. Parteiisch werden ihre Bewohner als Sklaven bezeichnet. Das hat

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