Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition)
ehemaligen Revolutionären, Leitern von Versorgungstrupps (wie Stendhal) hätte das Projekt gelingen können. Mit dem Ziel, einen verbissenen Einzelnen in historischer Maske zu porträtieren und dies als kooperationsunwilliger Einzelner zu bewerkstelligen, konnte das Vorhaben nur scheitern. In Paris verbrannte Kleist das Manuskript, das vermutlich noch Fragment war.
Wie Goethe eine Minderjährige belauerte
Ein Vorgang, von dem Kleist erfuhr, der aber durchaus geheimgehalten werden sollte, bestand darin, daß Johann Wolfgang Goethe (als er noch nicht adlig war) eine Minderjährige umlauert hatte, zu der es ihn längere Zeit hinzog. Die junge Frau hatte den Mann, den sie für einen Nichtsnutz hielt, abblitzen lassen. Sie hatte dann einen Reiterhauptmann geheiratet. Der war von Kaiser Napoleon mit einer Schwadron von Dragonern bis nach Teheran gesandt worden, als Vortrupp seines Indienzuges. Spät, auf dem Rückzug, wurde dieser Ehemann von Freischärlern umgebracht. Die Witwe, volljährig, aber immer noch sehr jung, erschien als Freiwild. Sie besaß kein Vermögen, kaum Schutz durch Verwandte. Abenteurer traten auf, bemühten sich um ihre Hand. Zu diesem Zeitpunkt soll der Geheimrat Goethe eine erneute Annäherung an das schon immer begehrte Objekt in die Wege geleitet haben. Er trug der Witwe an, in seinen Haushalt einzutreten zwecks späterer weiterer Annäherung und eventueller Zweitehe. Dann, so Kleists Darstellung, geizte er doch mit seiner Lebenszeit, seiner verfügbaren Lebendigkeit, fürchtete um die vielen Texte, die er nicht würde schreiben können, wenn ein vitales Lebewesen sein umzirkeltes Reich bevölkerte: Das verschlug allen Ausdruck, alle Intensität des Morgens, der doch der Arbeit diente, war nach dem Kredit der Tage, die dem Tod geschuldet sind, unerschwinglich, so Kleists Worte.
Die Liaison verlief im Sande, weil auch nicht deutlich war, wie die junge Witwe geantwortet hätte. Vermutlich kam die Verbindung so gar nicht in Frage. Kleist aber nutzte sein Wissen für die kurze, von ihm später verbrannte Novelle »Das Eigentum, das von den Sternen kam«.
Kleist wußte nichts über die Unbändigkeit von Goethes Seele, die wie in einer Parallelwelt mit dem Kokon, in dem er sich aufhielt, koexistiert: die gewisse Zerreißung, die er spürte, als er zu keinem rechten Entschluß kam im Bezug auf die Bindung, die ihm Hirn und Nerven doch stark beschäftigte:
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»Liebt ich dich als Kleine, Kleine /
Jungfrau warst du mir versagt /
Wirst doch endlich noch die Meine /
Wenn der Freund die Witwe fragt«
Eine apokryphe Oper Rossinis (Libretto von Goethe)
Die Theatertruppe kam nach Riesa in Sachsen. Rossini reiste ihr von Paris entgegen. Sie wollte hier in der Provinz das Cäsar-Libretto einstudieren, das der Kaiser in Auftrag gegeben hatte. Die Komposition hatte Rossini beendet. Es mußte rasch gehandelt werden. Jeden Tag konnte der Kaiser einem Attentat zum Opfer fallen oder durch eine einzige Schlacht stürzen. Sie wollten die Szenenfolge in der Leipziger Oper zur Premiere bringen. Der Kaiser zog die Armee bei Dresden zusammen.
Unter Pseudonym hatte Goethe das Libretto geschrieben. Es beruhte auf der Annahme, das Attentat der 23 Verschwörer gegen Cäsar sei mißlungen. Die Täter sind gefangen. Im zweiten Akt begnadigt der gerettete Cäsar die Verschwörer bis auf Brutus, der sich stellvertretend als Opfer zur Verfügung gestellt hat. Dies rührt die Götter, die während des Triumphzugs in Rom vor Cäsar hintreten und um das Leben dieses Einzelnen bitten. Im dritten Akt stellt sich heraus, daß der Diktator den eigenen Sohn begnadigte.
Besetzung: Acht Kastraten, ein Tenor, ein Sopran, ein Baß, 24 Orchestermusiker.
Die Festaufführung wurde dann für den ersten Abend nach Ende des dritten Schlachttages der Schlacht bei Leipzig geplant. Alle Offiziere der großen Armee vom Regimentskommandeur aufwärts, auch die Offiziere des sächsischen Kontingents (das dann aber schon zum Feind übergelaufen war), waren hinzubefohlen. Im zweiten Akt sollten während des Triumphs Gefangene der Schlacht hereingeführt und vom Kaiser vor versammeltem Publikum freigelassen werden. Am Ende der Oper beabsichtigte Napoleon, einen Friedensplan zu verkünden.
Zum Zeitpunkt der geplanten Premiere marschierte die zerfetzte Armee des Kaisers bereits über die Landstraßen in Richtung Haynau. Die Theatertruppe wurde auf der Flucht wenige Meilen westlich der Unstrut angehalten. Ein Reiterregiment der schlesischen Landwehr,
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