Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition)
Kameraleuten und Schauspielern provisorisch besetzt. Es drängte die jungen Menschen zum Film.
Kertész arbeitete in jenen Tagen an dem Drehbuch für seinen geplanten Monumentalfilm, der vom Auszug Israels aus Ägypten handelte. Weil aber die Kostüme für die bereits engagierten Statisten nicht fertiggestellt waren (und wegen Materialmangels mit der Anfertigung nicht vor Januar zu rechnen war, gleichwohl aber die Statisten in der Wartezeit bezahlt werden mußten), hatte Kertész die Idee, eine aktuelle Sequenz über den AUFSTAND DES WELTPROLETARIATS zu drehen. Dafür konnten die Statisten in den Kleidern auftreten, welche sie besaßen. Dies war der Augenblick, in dem Kertész jenes BILD DER ARBEITERKLASSE vor sich sah, das allerdings eher einer Planskizze als einer Versammlung von Menschen entsprach. Kertész hatte einen Bühnenbildner von der Budapester Oper engagiert, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht wieder eröffnet hatte, und dieser Künstler hatte ihm eine Weltkugel aus einer Gipsmasse geformt, auf der die industriellen Zonen der Erde in Gestalt winziger Glühbirnen zum Leuchten gebracht werden konnten. Die drehbare Vorrichtung wurde mit Hilfe eines winzigen Motors angetrieben. Probeaufnahmen mit der Studiokamera erzeugten einen starken Eindruck.
In Budapests Stadtbild trat die Industrie nicht prägend hervor. Kertész und sein Bühnenbildner brauchten Phantasie, um sich »Schwerpunkte der Produktion« auf dem Planeten vorzustellen. Mit Blick auf die USA hatten die beiden von der dynamisch wachsenden Fabrikstadt Cincinnati gehört; es schien, daß diese Stadt (wüchse sie so rasch wie im 19. Jahrhundert) alle anderen Städte der Welt an Ausdehnung überholen würde. Auch über die Fabrikviertel von Shanghai wurde viel gesprochen. Ein Industriegürtel zwischen Nordfrankreich und Belgien hieß, wie zu lesen war, die Borinage und galt als Zentrum aufsässiger Arbeiter. Dagegen keine Fabrikanlagen zwischen Tunis und Johannesburg. Etliche Lämpchen in dem Kunstwerk des Bühnenbildners zeigten Japans Schornsteine.
Nach einigen Tagen der Vorbereitung für diesen ZWISCHENFILM entschied sich Kertész, die weltumspannende, sich offenbar (den Pressemeldungen nach zu urteilen) zusammenschließende MACHT DER ARBEIT (ein Bild, das später in Rußlands Propaganda, der des Dritten Reiches und in den Wahlkämpfen der USA eine Rolle spielte) indirekt darzustellen: Der Film zeigte jetzt, wie eine Schraube und wie die aus solchen Teilen zusammengebaute Maschine dann in Liverpool neue Maschinen produziert und wie hier und an anderen Orten immer größere Kombinate und industrielle Anlagen entstehen – die Zeichnungen von Kertész und dem Bühnebildner sahen zuletzt den Maschinenwelten ähnlich, die Fritz Lang Jahre später für seinen Film Metropolis baute. Der Grund für die Ähnlichkeit der Bilder lag darin, daß Lang Kertész’ Opernbühnenbildner in sein Team übernommen hatte.
Bevor aber die Dreharbeiten für das Filmprojekt in Budapest in Angriff genommen werden konnten, wurden die ägyptischen Kostüme für die Statisten angeliefert, so daß sogleich die Dreharbeiten für das ursprüngliche Sujet, beginnend mit den sieben Plagen und der großen Szene des Moses vor Pharao, angefangen wurden. Daher ist (außer in den späteren Filmen Borinage von Joris Ivens und October von Eisenstein) das sich in der Welt zusammenschließende Proletariat nie gefilmt worden.
Abb.: Ausstellungsgemälde in Chicago von 1939. Was der übermächtige Arbeiter greift, als wären es Schlangen, sind drei Stock hohe Stromkabel, die eine Stadt zur Explosion bringen würden. Unten Mitte: ein realer Arbeiter am Fenster eines Gebäudes, nicht zu erkennen.
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Abb.: Universalwerkzeug.
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Abb.: Der Turmbau zu Babel von Pieter Brueghel d. Ä. (um 1564). Im Bild oben sind die Wolken angedeutet. Die Menschen, links unten, sind im Vergleich zum Turm bloß Punkte. Brueghel verfährt historisch insofern, als er in seiner Deutung des Turms das Kolosseum von Rom der Höhe nach übertreibt. Der Turm ist, weil ihn der Grundriß nicht trägt, links in die Erde eingesackt, wird wieder zu Natur. Die architektonische Sprache wäre zu Übereinkünften geeignet, wäre der Bau fertig. Er wäre fertig, wenn man wüßte, was Menschen mit ihm anfangen sollen. Die Tore und Fenster sind aber für Menschen zu groß. Es gibt keine Lebensgewohnheiten, die sich in ein solches Zentralgebäude einfügen. Dies ist nicht Nebukadnezars Hybris, sondern das
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