Das Fuenfte Evangelium
Jahrhunderten bekannt ist.«
Die Kardinäle, Monsignori und Padres zeigten deutliche Unruhe, sie rutschten auf ihren Stühlen umher wie Märtyrer auf glühendem Rost. Berlinger warf Felici einen verstohlenen Blick zu, als wollte er sagen: Habe ich es nicht geahnt? Wir sind nicht die einzigen, die von dem fünften Evangelium Kenntnis haben. Dann stellte er Guthmann die Frage: »Sie glauben also zu wissen, daß im päpstlichen Geheimarchiv ein fünftes Evangelium aufbewahrt wird, das die Kirche unter Verschluß hält.«
Guthmann hob die Schultern: »Das wird vermutet; als sicher gilt nur, daß ein Beweisstück im Geheimarchiv aufbewahrt wird.«
Neugierig beugte sich Monsignore della Croce, der Leiter des Geheimarchivs, über den Tisch und sagte fragend: »Man hat eine Kamera bei Ihnen gefunden, aber der Film war leer.«
»Ja«, erwiderte Guthmann, »meinen Auftraggebern hätte es genügt, eine Fotografie des Beweisstückes zu erhalten.«
»Und worum handelt es sich bei dem Beweisstück?«
»Um ein Relief aus dem Titusbogen, das, als man seine Bedeutung erkannte, von Papst Pius VII. beseitigt wurde.«
Manzoni beugte sich zu Berlinger hinüber und flüsterte ihm etwas zu, das die übrigen nicht verstanden. Dann fuhr er fort: »Nennen Sie Ihre Hintermänner. Und wagen Sie nicht zu lügen!«
»Ich habe das alles nicht freiwillig getan«, wiederholte Guthmann. »Sie haben mich mit Drogen gefügig gemacht. Eine Frau – Helena – war ihr Werkzeug, ohne es zu wollen. Sie haben angekündigt, mich zu töten, wenn ich nur ein Wort über meine Auftraggeber verliere.« Guthmann sprang auf: »Ich will die ganze Wahrheit berichten, aber ich bitte Sie, schützen Sie mich. Der Vatikan ist der einzige Ort auf der Welt, an dem sich jemand sicher fühlen kann, der in den Augen der Orphiker versagt hat.«
»Orphiker, sagten Sie?« erkundigte sich Felici.
Da nickte Guthmann heftig. »Die Orphiker sind ein Geheimorden, der sich die Weltherrschaft zum Ziel gesetzt hat, und sein erstes Ziel ist die Beseitigung der Kirche …«
»Danke, danke, Professor«, bremste Felici den Angeklagten, »wir wissen Bescheid.«
Guthmann blickte den Kardinal fragend an, aber Berlinger kam Felici mit seiner Antwort zuvor: »Sie dachten wohl, Sie hätten es im Vatikan mit Armen im Geiste zu tun?«
Die übrigen schmunzelten wissend und stolz. Nur Manzoni blieb ernst, er war totenblaß.
»Ich ahnte es schon lange«, bemerkte er in das lange Schweigen, »wir hatten mit Losinski eine Laus im Pelz.« Und an Guthmann gewandt: »Sie haben doch Padre Losinski gekannt, den polnischen Jesuiten?«
»Losinski?« Guthmann dachte nach: »Ich kenne keinen Losinski, und einen Jesuiten schon gar nicht; aber das hat nicht viel zu sagen. Ich lebte erst kurze Zeit bei den Orphikern.«
»Das ist«, entgegnete Berlinger, während er die Augen zusammenkniff, daß nur noch ein Strich übrig blieb, »eine erstaunliche Feststellung, wenn man bedenkt, mit welch verantwortungsvoller Aufgabe Sie betraut wurden.«
»Ich weiß. Ich war auch nur ein Lückenbüßer, wenn Sie so wollen, denn der Mann, der ursprünglich mit dieser Aufgabe betraut war, hat dem Orden den Rücken gekehrt, und das ist in den Augen der Orphiker todeswürdig. Ich habe gehört, er sei in einem Pariser Irrenhaus an Herzversagen gestorben. Aber daran will ich nicht glauben. Ich weiß, daß die Männer mit den mythologischen Namen über Leichen gehen, und gewiß stehe auch ich schon auf ihrer Todesliste.«
Felici schaltete sich ein: »Wie hieß der Mann?«
»Vossius. Er war Professor für Komparatistik und ist auf dem Umweg über Michelangelos Tagebücher auf das Barabbas-Geheimnis gestoßen.«
»Und gibt es noch andere Mitglieder dieses Ordens, die sich mit dem fünften Evangelium befassen?«
»Wie soll ich das wissen!« erwiderte Guthmann. »Es gehört zu den Praktiken der Orphiker, daß keiner von der Arbeit des anderen Kenntnis hat. Das fördert den Ansporn, glauben sie. Ein jeder soll sich von jedem kontrolliert fühlen – ein teuflisches System teuflischer Menschen.«
»Mir ist nur eines nicht klar«, wandte Felici ein. »Wenn die Orphiker das Ziel verfolgen, unsere Heilige Mutter Kirche zu zerschlagen, und wenn sie das fünfte Evangelium besser kennen als wir, die Männer der Kurie, warum haben sie dann bisher noch keinen Gebrauch davon gemacht?«
»Das will ich Ihnen sagen, Herr Kardinal. Dafür gibt es einen triftigen Grund.«
Berlinger wurde ungeduldig: »So reden Sie schon, in
Weitere Kostenlose Bücher