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Das Fuenfte Evangelium

Das Fuenfte Evangelium

Titel: Das Fuenfte Evangelium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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die Hoffart des einzelnen, ich denke an die Hoffart der Institution. Unsere Heilige Mutter Kirche spricht seit jeher mit einer Omnipotenz, die einem frommen Christenmenschen Angst einflößt. Hat uns der Herr nicht Demut gelehrt? Das Wort Macht kam kein einziges Mal über seine Lippen.«
    Bei den anderen verursachten die einfachen Worte des Monsignore Nachdenken. Nur Berlinger, der soeben noch resigniert über den dunklen Tisch gehangen hatte wie ein Betrunkener, richtete sich auf und nahm eine drohende Haltung ein: »Sie wissen, Bruder in Christo«, fistelte er in verächtlichem Tonfall, »eine Bemerkung wie diese ist dazu angetan, Ihren Fall vor der Congregatio zu behandeln.«
    Da wurde der Monsignore laut, und der aufgeregte Redeschwall, in der er seine Erwiderung vorbrachte, ließ vermuten, daß er noch nie im Leben mit einem Kardinal in diesem Ton gesprochen hatte. »Herr Kardinal«, sagte er, »Sie scheinen noch immer nicht begriffen zu haben, daß die Zeit vorbei ist, in der Andersdenkende auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden. Sie werden es sich in Zukunft wohl gefallen lassen müssen, eine andere Meinung als die Ihre zur Kenntnis zu nehmen.«
    Die beiden anderen Monsignori ließen blitzschnell ihre Hände in den weiten Ärmeln ihrer Obergewänder verschwinden, ein Vorgang, der auf kuriose Art dem Verschwinden der Küken unter den Federn der Glucke ähnelt, und sie suchten wohl auch Schutz in dieser Haltung, weil sie das Strafgericht des Kardinals fürchteten; aber zu ihrer Verwunderung geschah nichts. Berlinger wirkte geschockt, daß sich ein Monsignore überhaupt erkühnte, dem Leiter des Heiligen Offiziums auf diese provokante Weise zu begegnen.
    Agostini, von Amts wegen mit der Schlichtung von intellektuellen Streitfällen befaßt, versuchte die Wogen zu glätten, indem er in die Debatte warf: »Meine Herren, mit Einzelgefechten ist hier niemandem gedient. Wir werden jede einzelne Seele brauchen im Kampf gegen unsere Feinde – wenn es überhaupt noch eine Chance gibt.«
    »Chance?« Der Kardinalstaatssekretär lachte bitter, es klang kauzig aus dem Mund des Achtzigjährigen.
    Agostini wandte sich Felici zu: »Eminenza, Sie glauben nicht mehr an unsere Chance?«
    Der Gefragte verdrehte die Augen, als machte er sich lustig über diese Frage: »Wenn bereits die Posaunen erschallen, die das Jüngste Gericht ankündigen, dann wird es auch Ihnen nicht mehr gelingen, den Termin zu verschieben, Bruder in Christo!«
    Während der Diskussion war einer auffallend still geblieben, der Jesuit Professor Manzoni. Das widersprach seiner sonstigen Art; aber seine Zurückhaltung war weniger auf Ergriffen- oder Betroffenheit zurückzuführen als auf die Tatsache, daß er die Situation besser kannte als alle anderen und daß der Jesuit bereits einen teuflischen Entschluß gefaßt hatte. Jedenfalls verfolgte er die Diskussion mit einer gewissen Gleichgültigkeit, wie sie für gewöhnlich Philosophen eigen ist. Wären die Kardinäle und Monsignori nicht so erregt gewesen und in jener Endzeitstimmung, dann hätte ihnen auffallen müssen, daß Manzoni das Geschrei seiner Mitbrüder insgeheim belächelte.
    Manzoni lächelte auch, als Kardinal Berlinger in rührender Einfalt zu bedenken gab, ob sie nicht angesichts der ernsten Lage den wundertätigen Kapuziner Padre Pio aus dem fernen Apulien herbeizitieren sollten, einen Mann mit thaumaturgischen Kräften und der Gabe der Bilokation. Padre Pio trage seit über vierzig Jahren die Wundmale unseres Herrn, stehe also in nichts dem heiligen Franz von Assisi nach; im Gegenteil, während Franz den Umgang mit Tieren pflegte und ihre Sprache verstand, kämpfe Pio des Nachts mit dem größten Untier, dem Teufel, und er werde stets am Morgen schreiend und blutüberströmt in seiner Zelle aufgefunden wie ein Krieger nach grausamer Schlacht.
    Hinter Barabbas, dem Urheber jenes fünften Evangeliums, könne sich doch nur einer verbergen, Luzifer. Vielleicht sei es dem apulischen Padre gegeben, diesen Luzifer und sein gottverdammtes fünftes Evangelium zu besiegen – so sagte der Kardinal.
    »Mein Gott!« kommentierte Felici diesen gedanklichen Alleingang seines Amtsbruders. Mehr sagte er nicht.
    Darauf entgegnete Berlinger wütend: »Herr Kardinal, wenn Sie der Realität des Übernatürlichen skeptisch gegenüberstehen, dann leugnen Sie wohl auch die Existenz des Teufels, und wenn Sie Luzifer leugnen, dann – gestatten Sie mir den Hinweis – stehen Sie außerhalb dieser unserer

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