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Das Fuenfte Evangelium

Das Fuenfte Evangelium

Titel: Das Fuenfte Evangelium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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Anne die Rechte entgegen und bot ihr einen Platz an auf dem schwarzen Ledersofa.
    »Es ist wegen Kleiber«, sagte Anne von Seydlitz; »wir sind befreundet, Jugendfreunde, verstehen Sie, wir haben uns vor sieben Tagen zuletzt gesehen. Es wird Sie überraschen, wenn ich Ihnen sage, daß das in Griechenland war, denn Sie glauben sicher, daß sich Adrian Kleiber irgendwo anders aufhält. Aber Kleiber ist entführt worden, und wir konnten fliehen. Wir wollten uns in Bari treffen, aber Kleiber kam nicht. Jetzt mache ich mir Sorgen. In seiner Wohnung wohnen wildfremde Menschen. Haben Sie ein Lebenszeichen von Kleiber? Wissen Sie, wo er sich aufhält?«
    Der Chefredakteur, der Annes Worten mit großer Aufmerksamkeit gefolgt war, begann nervös an seinem Zigarettenstummel zu ziehen; dabei stieß er den Qualm durch die Nase aus.
    »Ich weiß«, setzte Anne von neuem an, »das klingt alles etwas wirr, und ich bin auch bereit, Ihnen alle Einzelheiten unserer Odyssee zu erzählen, aber bitte sagen Sie mir: Wo ist Kleiber?«
    Déruchette antwortete noch immer nicht. Er begann umständlich, eine neue Zigarette an dem brennenden Stummel zu entzünden, und als er den Vorgang beendet hatte, sah er auf und fragte zurück: »Wann, sagen Sie, Madame, haben Sie Kleiber zuletzt gesehen?«
    »Heute vor einer Woche, in einem Städtchen im Norden Griechenlands mit Namen Elasson. Seitdem fehlt von ihm jede Spur. Ich fürchte, seine Entführer haben ihn ein zweites Mal entführt.«
    »Sind Sie sicher?«
    Am liebsten hätte Anne dem unsympathischen Menschen ins Gesicht geschlagen. Sie hatte den Eindruck, daß er kein Won von dem glaubte, was sie sagte, und die Auskunft sadistisch lange hinauszögerte. Sie hätte losheulen können vor Wut, aber dann gab sie sich einen Ruck und entgegnete freundlich: »Ich bin sogar absolut sicher. Warum fragen Sie?«
    Déruchette fingerte die Zigarette aus dem Mundwinkel, und Anne sah darin ein untrügliches Vorzeichen für eine bedeutungsvolle Antwort. Schließlich sagte er: »Weil Adrian Kleiber seit fünf Jahren tot ist.«
    Es gibt Augenblicke, da weigert sich der Verstand, die Realität zu begreifen, und er reagiert unvereinbar mit den Gegebenheiten.
    In Annes Hirn ging alles durcheinander. Erinnerungsfetzen und Gedanken kreuzten sich, vermengten sich blitzschnell zu absurden Theorien, wuchsen ins Unverständliche und platzten wie Seifenblasen, den Schaum tiefer Ratlosigkeit zurücklassend. Und so begann Anne von Seydlitz laut schallend zu lachen; ein Lachkrampf schüttelte ihren Körper; sie sprang auf, kreischte und kicherte und verfolgte mit den Augen Déruchette, der zu einem Wandregal ging, in dem alte Ausgaben von ›Paris Match‹ gestapelt lagen.
    Déruchette zog eine Illustrierte hervor, schlug sie auf und hielt sie Anne, die sich noch immer nicht beruhigt hatte, vors Gesicht: »Wir reden doch von diesem Adrian Kleiber?« erkundigte er sich, durch die Reaktion der Besucherin verunsichert.
    Anne starrte auf ein großformatiges Portrait Adrians. Darunter auf einer halben Seite eine entsetzlich zugerichtete Leiche, deren linke Hand eine zerschossene Kamera umklammert, und zwischen beiden Fotos die Bildzeile: ›Paris-Match‹-Reporter Adrian Kleiber – im Algerienkrieg getötet.
    Mit einem Aufschrei ließ Anne sich auf die Couch sinken, sie preßte die geballten Fäuste vor den Mund und starrte auf den Boden. Déruchette, der die Begegnung bisher weniger ernst genommen hatte, zeigte nun Anteilnahme, er drückte seine Zigarette aus, nahm neben Anne von Seydlitz Platz und sagte: »Sie haben das wirklich nicht gewußt, Madame?«
    Anne schüttelte den Kopf: »Bis vor einer Minute hätte ich schwören können, daß wir uns noch vor einer Woche gesehen haben. Wir waren zusammen in Amerika, ich habe ihn aus dem Gefängnis seiner Entführer in Griechenland befreit. Wer, um Himmels willen, war dieser Mann?«
    »Ein Hochstapler, Madame. Es gibt keine andere Erklärung.«
    Dann – aber das sagte sie nicht, sie dachte es nur – dann habe ich also mit einem Hochstapler geschlafen. Wer war dieser Mann?
    Déruchette zeigte aufrichtiges Interesse. Vielleicht witterte er auch eine ungewöhnliche Story, jedenfalls bot er Anne seine Hilfe an bei der Aufklärung des Sachverhaltes und sagte: »Ich nehme an, Madame, Sie befinden sich in einer unangenehmen persönlichen Lage. Vielleicht haben Sie einen schweren Schicksalsschlag erlitten und haben dadurch den Boden unter den Füßen verloren. Solche Situationen werden

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