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Das Fuenfte Evangelium

Das Fuenfte Evangelium

Titel: Das Fuenfte Evangelium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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gebietenden Schreibtisch, stützte sich auf einen Ellenbogen und erwiderte mit einem zynischen Grinsen: »Ach, Professor, da bin ich aber gespannt!«
    Dabei betonte er das Wort ›Professor‹ über Gebühr, als befürchte er eine wissenschaftliche Antwort, die niemand verstehen könnte.
    »Ich befürchte«, begann Vossius umständlich, »wenn ich Ihnen die Wahrheit sage, werden Sie mich für verrückt halten …«
    »Das befürchte ich in der Tat«, unterbrach Gruss. »Ich befürchte sogar, daß ich Sie nach jeder Erklärung für verrückt halte, Monsieur.«
    »Eben«, brummelte Vossius.
    Dann entstand eine lange Pause, in der sich Fragesteller und Befragter wortlos ansahen, ein jeder mit unterschiedlichen Gedanken. Gruss war wirklich gespannt, welches Motiv dieser Verrückte anführen würde, während Vossius eine ungewisse Angst verspürte und die Furcht, man könnte ihn, was immer er auch zu seiner Rechtfertigung sagen würde, für nicht zurechnungsfähig halten. Wie also sollte er sich verhalten?
    In der Hoffnung, Vossius damit zu provozieren und auf diese Weise eine Antwort zu erhalten, machte Gruss die Bemerkung: »Man hat mir gesagt, Sie hätten bei Ihrer Festnahme den Eindruck vermittelt, als wollten Sie vom Eiffelturm springen?«
    »Das ist richtig«, antwortete Vossius, aber schon im nächsten Augenblick bereute er sein Geständnis, wurde ihm plötzlich bewußt, in welche Gefahr er sich damit gebracht hatte, und die Reaktion folgte prompt.
    »Sind Sie in ärztlicher Behandlung?« fragte Gruss kühl. »Ich meine, leiden Sie unter Depressionen? Sie können ruhig darüber sprechen. Wir erfahren es sowieso.«
    Vossius beeilte sich zu antworten: »Nein, um Himmels willen, versuchen Sie nicht, mich in diese Ecke zu drängen. Ich bin völlig normal!«
    »Schon gut, schon gut!« Gruss hob beide Hände. »Machen Sie sich keine falschen Hoffnungen, Unzurechnungsfähigkeit könnte Ihnen vielleicht das Gefängnis ersparen.«
    Das Wort hing im Raum wie Schwaden kalten Zigarettenrauchs: Unzurechnungsfähigkeit! Vossius rang nach Luft. Das Grinsen des Kommissars, ein unverschämtes, verächtliches Nachvorneschieben der Unterlippe, während er die Mundwinkel nach oben zog, verriet sein Ergötzen an Vossius' Reaktion. Daran, daß man ihn für verrückt halten könnte, vor allem aber, daß man ihn so behandeln könnte, daran hatte dieser Mann überhaupt noch nicht gedacht.
    Wie sollte Vossius dem begegnen? Wie so oft im Leben war auch in diesem Fall die Wahrheit am unglaubwürdigsten. Man würde ihm zuhören, ihn belächeln, und noch ehe er auch nur einen Beweis für seine Erklärungen erbracht hätte, hinter Schloß und Riegel setzen, ihn, einen armen Irren, Professor für … wie hieß Ihr Fach? Komparatistik?
    Aus diesem Grund war Vossius bemüht, alle Fragen, die Gruss an ihn richtete, möglichst unverbindlich zu beantworten. Es ging ihm darum, nur nicht den Eindruck zu erwecken, er könnte im Kopf nicht ganz richtig sein. Ehrlich gesagt, hatte er sich ein Verhör wie dieses ganz anders vorgestellt, hart und unerbittlich, so wie er das aus Kriminalfilmen kannte; doch hier in diesem kahlen Raum im zweiten Stock der Polizeipräfektur lief alles ganz freundlich, beinahe zuvorkommend ab wie bei einem Einstellungsgespräch. Ihm fiel auf, daß weder Gruss noch einer der beiden Kriminalbeamten Notizen machte oder ein Protokoll erstellte, obwohl er mehrfach Daten und Ortsangaben nannte, seine Vergangenheit betreffend.
    Vossius war viel zu aufgeregt, den Grund für dieses Verhalten zu erkennen. Sein ganzes Denken, seine Vorsicht, nur nichts preiszugeben, was den geringsten Verdacht von Unzurechnungsfähigkeit erregen könnte, erzeugte in ihm eine Spannung, die ihn blind und taub machte für das Naheliegende.
    In diese geladene Atmosphäre traten plötzlich zwei weißgekleidete Kerle; der eine hatte einen kleinen Koffer bei sich, der andere trug breite Riemen und Schnallen unter dem Arm, und auf einen Wink des Kommissars traten sie auf Vossius zu, hoben ihn von seinem Stuhl wie einen Gebrechlichen und sagten, ein jeder für sich, aber beide gleichzeitig: »So, Monsieur, jetzt machen wir eine kleine Spazierfahrt. Kommen Sie!«
    Obwohl die Situation nicht eindeutiger sein konnte, dauerte es ein paar Sekunden, bis Vossius begriff, was hier eigentlich vorging, und als er endlich die Ausweglosigkeit seiner Situation erkannt hatte, führten ihn die beiden Kerle bereits mit festem Griff um seine Oberarme den Korridor entlang zum

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