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Das Fünfte Geheimnis

Titel: Das Fünfte Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Starhawk
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Vorsichtig schwenkte sie ihren Becher im Kreis. Wasser war etwas Wunderbares, wurde ihr plötzlich klar, und dieses kristallklare durchsichtige Naß in ihrem Becher erfüllte sie mit bisher unbekanntem Entzücken. Wie es sich doch der Form des Gefäßes anpaßte, wie es Körper umspielte, umschmeichelte. Diese Hügel ringsherum, dieses flache Stück Land, der gewundene Lauf des ausgetrockneten Bachbettes, die knorrigen, blank geschliffenen Wurzeln der großen alten Bäume direkt am Ufer, der glattpolierte Stein vor ihren Füßen, ja ihr eigener Körper, das Gewebe ihrer Haut, alles auf Erden stammte vom Wasser. Göttliches Wasser!
    Langsam und bedächtig trank sie einen winzigen Schluck, so wie sie es bei dem kranken Hijohn beobachtet hatte. Oh, das war nicht einfach nur Wasser, es war ein Sakrament. Jede Fiber ihres Körpers schien sich auf diesen Tropfen Wasser zu stürzen, ihr Herz schlug schnell und aufgeregt. Behalte das Wasser für einen Moment auf der Zunge, fühle seine feuchte Kühle, laß es im Mund herumwandern, damit es jedes trockene Fleckchen anfeuchte, spüre es im Mund, bis es die Temperatur deines Bluts angenommen hat. Sie konnte das Wasser mit der Zunge zu keinen Fontänen im Mund hochdrücken, Wellen schlagen lassen, ein Miniatur-Ozean in ihrem Mund, wie jener wilde Wasserfall, der von den felsigen Klippen rauscht, den sie mit Bird zusammen einmal besucht hatte. Doch schließlich, als sie es wirklich nicht länger aushalten konnte, schluckt sie. Doch auch dieses unendliche Vergnügen wurde noch in sechs, sieben, acht kleine Schlucke aufgeteilt und vervielfacht. Dann begann sie wieder von vorn, mit dem nächsten Schluck.
    Als ihr Becher schließlich leer war, hätte sie weitere fünf ausleeren mögen. Aber niemand fragte nach mehr. Stattdessen kam nun eine ganze Schüssel voll mit einem ihr völlig fremden Essen. Ein Gemisch aus Nußmehl und Honig. Eigentlich wäre Madrone Reis mit Bohnen lieber gewesen, aber sie aß hungrig und dankbar ihre Portion auf, und danach hätte sie am liebsten noch mehr gehabt. Aber wieder schien sie die einzige zu sein, die solche Wünsche hatte.
    Danach saßen sie rund um das winzige Feuerchen, das langsam herunterbrannte und schließlich verlosch. Baptist und Rocky schälten Eicheln, um sie dann zwischen zwei eigentümlich geformten Steinen zu grobem Mehl zu zerreiben. Die Arbeit war ihnen so vertraut, daß sie trotz hereinbrechender Dunkelhit gar nicht hinblickten, sondern sich miteinander unterhielten. Madrone bot ihre Hilfe an, aber Rocky meinte, diese Arbeit solle sie lieber bei Tageslicht lernen. Hijohn ging es schon viel besser, er saß gegen einen Baumstamm gelehnt und in seine schmuddelige Decke gehüllt ganz in der Nähe.
    »Es hört sich vielleicht dumm an, wenn ich frage«, begann Madrone vorsichtig, »aber was macht ihr eigentlich hier oben? Ich meine, was ist der Zweck eures Lagers hier?«
    »Verschieden, verschiedene Zwecke«, sagt Hijohn abgehackt. Sein Gesicht hatte inzwischen etwas Farbe angenommen. Er sah nicht mehr so totenblaß aus. »Erstens sind wir eine Zuflucht für all jene, die nicht mehr weiter finden. Wir päppeln sie auf und zeigen ihnen den Weg, meist zu Camps im Westen oder im Norden von hier, wo wir an der Küste größere Lager eingerichtet haben. Vielleicht kommst du ja noch zu einem in der nächsten Zeit. Dort sind die meisten Frauen und Kinder. Aber der eigentliche Zweck unseres Camps hier, so nahe der feindlichen City, sind Überfälle. Wir wollen die Stewards wissen lassen, daß sie nicht alles und jedes unter Kontrolle haben. Wir sprengen mal hier eine Wasserleitung oder unterbrechen dort ihre Nachschublinien. Oder wir bringen sie einfach nur zur Verzweiflung. John Brown, den die Bienen nun pflegen, ist bei so einem Angriff verwundet worden. Gelegentlich plündern wir ein Vorratslager und haben dann manchmal genug zu essen, können sogar noch etwas weitergeben. Den Reichen nehmen und den Armen geben, du weißt schon...«
    »Und wie erfolgreich seid ihr?« fragte Madrone vorsichtig weiter. Sie versuchte, ihre Stimme gleichmütig klingen zu lassen, aber leiser Zweifel hatte doch wohl darin mitgeschwungen.
    »Vielleicht erscheint es dir nicht sehr erfolgreich. Aber unsere Angriffe werden immer häufiger. Wir sind die lästigen Mücken, die sich nicht vertreiben lassen, weißt du. Oder wie die Bienen. Ein Stich ist nicht so schlimm, aber Hunderte und Tausende von Stichen können einen töten.«
    Madrone starrte in die glühende Asche,

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