Das Fünfte Geheimnis
Straßen. Wir haben sie wieder in ihrem natürlichen Bett strömen lassen, statt durch Röhren und Kanäle. Wir hoffen, daß es nicht mehr lange dauert, bis wir wieder Lachse fangen können. Aber die Bachufer sind gleichzeitig auch Lebensraum für vielerlei Insekten, Vögel und sogar für kleinere Tiere. Wir haben gezüchtete Jungfische ausgesetzt. Mit den Bächen und Strömen bewässern wir unsere Felder nach einem ausgeklügelten System. Wasser bringt uns also viel Nutzen, aber auch Freude. Unsere Kinder spielen gern am Ufer, schwimmen im Fluß und in den größeren Teichen.«
Während sie sprach, bemerkte sie vier hochgewachsene Personen, die etwas abseits standen. Sie hatten alle vier die gleiche blonde, etwas androgyne Schönheit wie die kleine Poppy. Sie kamen ihr jung vor, vielleicht vierzehn oder fünfzehn. Waren es eigentlich Jungen oder Mädchen? Sie konnte es nicht erkennen. Waren es Brüder und Schwestern? Sie sahen sich nicht nur ähnlich, sie hatten auch alle die gleiche Art, verhalten um sich zu blicken. Wie Raubkatzen, dachte Madrone. Sie nahmen auch nicht an der allgemeinen Unterhaltung teil, sondern sahen sich nur mit kühlen, blauen Augen um.
Madrone erzählte weiter. Das Essen kam. Sie beantwortete Fragen, erklärte alles, von den Handelsabkommen mit den Menschen an der Wasserscheide bis zu den besten Mulch-Methoden im Garten. Die Kinder lauschten begeistert, die Erwachsenen waren skeptisch.
»Was ich wissen möchte«, sagte Hijohn, »wie seid ihr unter die Steward-Herrschaft gekommen?«
»Wir sind nicht unter ihrer Herrschaft, nie gewesen. Als sie '28 nach der Macht greifen wollten, haben wir sie zurückgeschlagen.«
Und das war ganz leicht, eh?« meinte einer der Männer. »Ihr habt einfach gesagt, nein, danke! Und sie haben geantwortet, oh, Verzeihung, auf Wiedersehen!?«
Alle lachten.
»Es war nicht einfach«, sagte Madrone ruhig, »ich war noch ein Kind, aber ich erinnere mich genau, wie hungrig wir alle im Winter waren. Viele Leute verhungerten, weil die Stewards unsere Lebensmittelversorgung unterbrochen hatten. Es gab genug Leute, die mit den Stewards konform gehen wollten. Aber wir anderen setzten uns durch und bewirkten die Restauration.«
»Habt ihr die Stewards getötet?« fragte Hijohn.
»Nein. Das war etwas, was wir aus den vergangenen Zeiten gelernt haben. Eine Revolution, die damit beginnt, die Gegner zu ermorden, hat für die Zukunft eine schwere Bürde. »
»Was habt ihr denn gemacht?«
»Wir haben verhandelt, debattiert, mit ihnen gestritten, und sie schließlich davon überzeugt, daß sie uns besser in Ruhe lassen sollten. Wir haben sie mit unserem Reden ganz schön beunruhigt. Wir besorgten uns neues Saatgut, teilten es unter uns auf, und verwandelten viele zubetonierte Straßen wieder in Gärten. So haben wir fast ohne Blutvergießen überlebt. Fast, denn die Stewards erschossen einige von uns.«
»Das wäre schön, wenn wir hier etwas Ähnliches schaffen könnten«, sagte Katy. »Friedlich. Ohne Gewalt.«
»Ach, hier klappt das nicht«, warf Hijohn ein, »hier ist die Sache zu verfahren. Und die, die an der Macht sind, sind nicht gewillt, davon auch nur einen Zipfel aufzugeben.«
Stille. Poppy schob ihren Teller von sich und bediente sich von Madrones Teller. Katy gab ihr lächelnd eine weitere Portion Bohnen. Madrone bemerkte das dankbar.
»Und wie ist es hier?« fragte Madrone, »wie konnten die Stewards hier alles an sich reißen?«
»Es begann '27«, erklärte Katy. »ich weiß nicht, wie es bei euch im Norden gelaufen ist, aber hier war es schlimm. Ich war noch ein Kind, aber ich erinnere mich an das Erdbeben und welche schreckliche Angst ich hatte, als der Boden zu schwanken begann, zu explodieren schien. Das Zentrum des Bebens lag gerade mal einige Meilen nördlich von hier!«
»Wir im Norden haben das Beben auch gespürt«, warf Madrone ein, »aber es war nicht schlimm.«
»Schlimm war ja auch nicht so sehr das Beben selbst«, erzählte Hijohn weiter, »das Beben zerstörte zwar vieles, die Wasserversorgung, Gasleitungen, Straßen, Häuser stürzten zusammen. Aber ein großer Teil der City lag ohnehin schon in Trümmern, von den vorausgegangenen Jahren mit unzähligen Krawallen bei denen viele Häuser in Flammen aufgingen. Und das Central-Valley war wie ausgestorben durch den Klima-Umschwung und die damit verbundene Hitze. Es wurde immer schwieriger, Essen und Wasser aufzutreiben. Staubstürme begruben noch mehr unter sich. Aber das Schlimmste waren
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