Das Fünfte Geheimnis
um Madrone: „Wie alt warst du damals?“
„Ich war gerade sieben geworden.“
„Guter Gott, und was passierte dann?“
„Es war so still. Nach einer Weile fürchtete ich mich in meinem Versteck, und so kroch ich vorsichtig heraus und schlich in das Zimmer meiner Mutter. Sie lag auf dem Boden, ganz still. Einen Moment dachte ich, sie hätte sich schlafen gelegt und mich vergessen. Deshalb ging ich hin, um sie zu wecken. Ich faßte sie an der Hand, und die war so kalt, und dann sah ich das Blut.“
Madrone weinte. Nun kann ich doch noch weinen, hier in Sicherheit, im Garten der Schwestern, kann ich um dich weinen, Mutter, Tränen vergießen um meine liebe Mutter, um den ersten Menschen, den ich jemals geliebt habe, um den ersten Menschen, den ich verlor.
Katy streichelte Madrone und drückte sie mit dem einen Arm fest an sich, mit dem anderen hielt sie ihr Baby. „Es tut mir so leid. Wie schrecklich.“
„Ich wußte ja, daß alle Menschen einmal sterben müssen. Aber ich konnte nicht glauben, daß ausgerechnet meine Mutter sterben mußte. Sie war immer so zuversichtlich, sie wußte so vieles. Ich saß neben ihr, hielt ihre kalte Hand und weinte, bis ich einschlief. Irgendwie dachte ich, wenn ich wieder aufwachte, würde auch meine Mutter wieder aufwachen. Am nächsten Morgen kamen die Nachbarn und fanden mich so. Dann kam mein Großvater und holte mich ab. Er brachte mich herher.“
„Deine Mutter war eine großartige Frau. Ihr Name wird ein guter Name für mein Kind sein.“
„Danke, Katy. Ich mußte diese Geschichte erzählen.“ Madrone drückte Katys Hände. Dann ließ sie wieder los, damit Katy dem Baby die andere Brust geben konnte.
„Gut, daß du mir das alles erzählt hast“, sagte Katy und blickte der kleinen Lucia in die dunklen Augen. „Ich empfinde eine Art Verwandtschaft mit deiner Mutter. Ich habe hier gesessen und über eine Rückkehr in die Southlands nachgedacht. Aber wenn ich das tue, was wird mit meinem Kind passieren?“
Wieder blickte sie auf das Kleine in ihren Armen, das jetzt fröhlich mit den Füßen strampelte.
„Laß dir mit der Antwort Zeit“, meinte Madrone, „das ist ein ärztlicher Rat.“ Sie wechselte das Thema: „Gefällt dir der Name wirklich?“
„Er ist wunderbar.“
„Okay, dann heißt sie also Lucia Rachel. Vielleicht haben wir ja in einigen Tagen Zeit für eine Zeremonie.“
„Gibt es etwas, wobei ich dir helfen kann?“ fragte Katy, „du siehst immer so müde aus, und ich weiß, daß du viel zu tun hast.“
„Du kannst mir helfen. Achte bitte darauf, daß Angela ihre Medizin pünktlich und nach Vorschrift bekommt. Und du brauchst Ruhe.“
„Das erscheint mir so selbstsüchtig.“
„Katy, du hast die Geburt gerade eine Woche hinter dir. Es war eine schwere Geburt. Und die Zeit davor war schrecklich. Genieße die Ruhe zusammen mit Lucia, gib ihr einen guten Start, sie hat es verdient.“
„Ich schätze, du hast recht. Wie geht es den anderen?“
Madrone lächelte. „Arme Sara, da hat sich einiges geändert. Mary Ellen kommandiert sie herum. Sie soll Essen kochen, bei Tisch servieren, den Tee bringen und so weiter, den ganzen Tag lang und auch nachts. Nichts mehr mit der Anrede Miss Sara...“
„Oh, ich bewundere Sara“, sagte Katy, „sie hat viel aufgegeben. Ich wäre mir nicht so sicher, ob ich das tun würde, wenn ich so viel zu verlieren hätte wie Sara.“
„Doch, das würdest du, wenn du fühlst, daß es richtig ist. Du bist einfach so.“
„Ich weiß nicht recht“, meinte Katy zweifelnd, „wenn ich einen Garten hätte wie diesen und ein Leben, in dem ich spüre, daß es einfach mein gutes Recht ist, hier mit meinem Baby in der Sonne zu sitzen, inmitten dieser wunderbaren Blumen, ich bin nicht so sicher, ob ich mich dann vertreiben ließe.“
„Wenn du es zu sehr gewohnt bist, kannst du es auch aufgeben, weil dich das Abenteuer lockt.“
„Bedauerst du deinen Trip zu uns in die Southlands?“
„Nein, ich weiß seitdem mehr zu schätzen, was wir hier haben. Aber es ist traurig, daß wir alle nun so hart darum kämpfen müssen. Ich bedaure, daß so viel Schmerz auf uns zukommt und daß wir den Frieden nicht bewahren konnten. Dabei bin ich der ganzen Kämpfe so leid.“
„Du solltest dich einfach ein wenig hierher setzen, Madrone. In die Sonne, zwischen die Blumen.“
„Du hast sicher recht.“ Madrone seufzte und beobachtete schweigend die Bienen zwischen den Blüten. „Aber etwas könntest du für mich
Weitere Kostenlose Bücher