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Das Fünfte Geheimnis

Titel: Das Fünfte Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Starhawk
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hinzusetzen, unfähig zu kochen, unfähig sich um die Kranken zu kümmern, unfähig überhaupt etwas Sinnvolles zu tun. Es war auch egal, denn weder Sara noch Mary Ellen brauchten ihre Hilfe wirklich. Maya fühlte sich alt und nutzlos. Sam hatte als Arzt genug zu tun, gerade jetzt. Madrone war irgendwo und rieb sich als Heilerin auf. Was ihr blieb, war das Gefühl, daß sie verloren hatte. In ihr bohrte das beschämende Gefühl, versagt zu haben. Mitgefühl konnte die Grausamkeit eben nicht besiegen. Es war wohl ein Fehler gewesen, ihr ganz persönlicher Fehler, dies zu glauben. Die Stunde der Bewährung war gekommen und vorübergegangen, und sie saß herum und tat nichts, konnte nichts tun. Nichts, außer in stupiden Ratsversammlungen herumzusitzen und zuzuhören, wie ihr eigener Enkelsohn von Schwachköpfen attackiert wurde. Nein, sie konnte und sie wollte sich nicht damit abfinden.
    Sie ging in ihr Zimmer. Hier waren keine verwundeten oder kranken Soldaten untergebracht. Sam schlief neuerdings auf einem Feldbett in einem der unteren Zimmer. Maya hoffte, er würde nicht gerade jetzt aufwachen und auf die Idee kommen, nach ihr zu sehen. Madrone war ohnehin die meiste Zeit fort, auch nachts, und Nita arbeitete momentan im Ritual Raum. Sara und Mary Ellen waren in der Küche beschäftigt, Lou und Aviva irgendwo unterwegs. Ja, sie konnte es wagen. Es waren die richtige Zeit und der richtige Tag. Sie schloß die Tür hinter sich.
    Sie zog ein weißes Kleid an, das sie vor Jahren bei Zeremonien für die Orishas gern getragen hatte. Jetzt sah die dicke weiße Baumwolle alt aus, zerknittert und umspielte lose ihren Körper. Sie bürstete ihr langes weißes Haar sorgfältig und ließ es offen. Dann hängte sie sich ihren weißen Mantel um die Schultern und holte den Spazierstock mit dem Silberknauf von seinem Haken. Sie empfand diesen Stock als sehr passend. Sie kritzelte ein paar Worte für Sam auf einen Zettel, ein paar weitere auf einen anderen für Madrone und legte beide auf ihr Bett.
    Vorsichtig öffnete sie die Zimmertür und spähte hinaus. Niemand zu sehen. Sie empfand es als komisch, daß sie sich nun aus ihrem Elternhaus schleichen würde, so wie sie es als Kind gelegentlich getan hatte. Auf Zehenspitzen schlich sie die Treppe hinunter, den Spazierstock fest unter den Arm geklemmt. Sorgfältig hielt sie sich am Treppengeländer fest. Nun zur großen Tür hinaus und diese leise schließen. Maya atmete tief auf. Sie war draußen, sie war frei.
    Einen Moment hielt sie inne und blickte auf die Haustür, die sie gerade hinter sich geschlossen hatte. Diese Stufen war sie so oft hinauf und hinunter gegangen, Jahr für Jahr. Hier war sie zu Hause gewesen, zusammen mit Johanna, nachdem sie aus Mexiko gekommen waren. Hier hatte Rio eine Heimstatt gefunden. Hinter den Mauern dieses Hauses hatte sie Rachel Märchen vorgelesen, Geschichten erzählt, Rachel, Madrones Mutter. Hier hatte sie die kleine Brigid an ihren kleinen Händchen festgehalten, als sie das erste Mal die Treppe hinauf und hinunter geklettert war. Vielleicht werde ich zurückkommen und diese Treppe wieder hinaufgehen, zurück in dieses alte Haus. Vielleicht auch nicht. Aber auf jeden Fall hatte sie in diesem schönen alten Haus glückliche Jahre verbracht. Du hast mir Schutz und Geborgenheit gegeben, viele Jahre lang, dachte Maya, aber den Schutz den ich nun brauche, den kannst du mir nicht geben.
    Sie ging los. Die Gärten waren durch die sommerliche Trockenheit ausgedörrt. Es hatte nicht genug Regen gegeben. Die Wasserkanäle in den Straßen waren staubtrocken. Die Stewards hatten also den Zufluß wieder abgesperrt. Wenn es so weiterging, war eine Hungersnot unausweichlich. Ohne Wasser konnte nichts wachsen, nichts gedeihen. Wo früher Kinder fröhlich gespielt hatten, herrschte nun unheimliche Ruhe. Die Straßen waren verödet. Nur hier und da sah sie khakifarbene Personen, Steward-Soldaten. Und gelegentlich tauchte ein weiß gekleideter City-Bewohner auf, vermutlich um irgendjemanden zu verhexen.
    Das Transport-Kollektiv der City hatte die Gondeln unbrauchbar gemacht. Den Stewards war das egal. Aber Maya mußte nun den weiten Weg in die Stadt hinunter zu Fuß zurücklegen. Okay, dachte sie, das tut mir nur gut. Ein schöner, langer Spaziergang durch die Stadt, die sie so liebte, in der sie so viele glückliche Jahre verbracht hatte. Warum nicht? In ihren Augen war die City ein Ort der Magie, der Zuckerbäckerhäuser und grünen Hügel, ein Feengarten.

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