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Das fuenfte Imperium

Titel: Das fuenfte Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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ich«, sagte der Moldawier. »Ganz in Schwarz.«
    »Wie viele?«
    »Ein Einzelner, denk ich«, antwortete der Moldawier, nach mir äugend.
    »Soll reinkommen. Und sag den Männern, sie sollen mit Rauchen aufhören. In einer Stunde wird gegessen.«
    »Alles klar, Chef.«
    Der Moldawier deutete mit dem Kopf auf die Tür und verzog sich. Sicherheitshalber klopfte ich noch einmal.
    »Es ist offen«, sagte die Stimme.
    Ich drückte die Klinke.
    Drinnen war es schummrig - die Vorhänge waren vor die Fenster gezogen. Doch ich kannte inzwischen die so unmerklichen wie untrüglichen Zeichen, an denen man die Wohnstatt eines Vampirs erkennt.
    Das Zimmer erinnerte an Brahmas Kabinett: auch hier ein Archivschrank über die ganze Wand, nur schlichter und weniger gediegen. In der Wand gegenüber war eine tiefe Nische, die das Bett aufnahm. (Ein Alkoven, fiel mir das Wort dafür ein - auch wenn ich nie zuvor einen gesehen hatte.) Vor dem Alkoven stand ein Möbel, dem Ähnlichkeit mit einem Couchtisch aufgezwungen worden war: ein altes Mahagonistück, dessen Beine man um die Hälfte gekürzt hatte. Darauf ein Haufen Kram: Stoffreste, Lineale, Metallgerümpel, unvollständige Plüschtiere, Bücher, klobige Handys aus Zeiten der ursprünglichen Akkumulation, Netzteile, Tassen und etliches mehr. Das interessanteste Objekt war eine Kerosinlampe; es hätte die Hervorbringung eines ingenieurtechnisch begabten Geisteskranken sein können. Die Lampe hatte zwei runde Spiegel, die so montiert waren, dass sie sich das Licht der Flamme gegenseitig zuwarfen.
    Neben dem Tisch stand ein gelber Ledersessel.
    Ich näherte mich dem Alkoven. Er enthielt ein Bett, über das eine Steppdecke gebreitet war. Darüber hing ein schwarzes Ebonittelefon aus Stalinzeiten an der Wand, umgeben von einem Nimbus aus Bleistiftnotizen. Daneben ein Klingelkopf - wie die an der Wohnungstür.
    Osiris lagerte entspannt auf der Seite, ein Bein auf das Knie des anderen gestellt, so als wollte er sich für die Lotusposition warm machen. Er trug einen alten Baumwollkittel und eine Brille mit großen Gläsern. Schädel und Gesicht erinnerten in ihrem Bewuchs an einen kahlen Kaktus. (Den
    Effekt erzielt man, indem man sich Kopf und Bart gleichzeitig rasiert und dann eine Woche lang die Stoppeln wachsen lässt.) Osiris’ Haut war welk und fahl - was daran liegen mochte, dass er einen Großteil seiner Zeit im Finstern verbrachte. Sekundenlang ruhte sein gleichmütiger Blick auf mir, bevor er mir die Hand entgegenstreckte, die kühl, weich und weiß war. Um sie zu drücken, musste ich mich weit nach vorn beugen und auf dem überladenen Tisch abstützen.
    »Rama«, stellte ich mich vor. »Rama II.«
    »Ich habe schon von dir gehört. Du bist jetzt an Brahmas Stelle?«
    »So könnte man es auch sagen«, antwortete ich. »Obwohl ich mich eigentlich nicht als Stellvertreter fühle.«
    »Setz dich«, sagte Osiris und deutete auf den Sessel.
    Bevor ich das tat, spähte ich misstrauisch auf das staubige Parkett unter dem Sessel, rückte ihn gar ein Stück zur Seite. Osiris lachte, sagte aber nichts.
    Als ich schließlich saß, war Osiris’ Kopf hinter der Nischenecke verschwunden; nur noch seine Füße waren zu sehen. Ich vermutete, dass der Sessel nicht zufällig in diesem Winkel zu ihm stand.
    »Ich komme von Ischtar Borissowna«, begann ich.
    »Wie geht’s dem alten Weiblein?«, fragte Osiris wohlwollend.
    »Alles so weit in Ordnung, denke ich. Trinkt nur ein bisschen viel.«
    »Tja. Was soll sie jetzt anderes machen ...«
    »Inwiefern?«
    »Lass mal. Das betrifft dich nicht. Darf ich den Zweck deiner Visite erfahren?«
    »Ischtar Borissowna ist bei meinem Antrittsbesuch aufgefallen, dass ich mich viel mit abstrakten Fragen befasse«, erklärte ich. »Wie die Welt entstanden ist, zum Beispiel.
    Oder die Frage nach Gott. So etwas. Ich habe zu der Zeit tatsächlich viel über diese Themen nachgedacht. Jedenfalls wollte Ischtar Borissowna, dass ich Sie aufsuche. Sie seien ein Hüter der sakralen Überlieferung und im Besitz der Antworten ...«
    »Natürlich«, bestätigte Osiris. »Zwangsläufig.«
    »Vielleicht könnten Sie mir etwas zum Lesen mitgeben? So ein paar sakrale Grundlagentexte des Vampirtums, meine ich?«
    Osiris schaute belustigt aus seinem Alkoven hervor. (Dazu musste er sich weit nach vorn beugen, und sein Gesicht tauchte direkt vor mir auf.)
    »Zum Lesen?«, wiederholte er. »Schön wärs ... Vampire haben keine sakralen Texte. Die Überlieferung existiert

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