Das fuenfte Imperium
ausschließlich in mündlicher Form.«
»Dann dürfte ich vielleicht etwas davon hören?«
»Stell deine Fragen.«
Ich dachte nach. Bislang war mir so gewesen, als wären viele gravierende Fragen offen. Aber jetzt wollte mir keine davon einfallen. Das heißt, die, die mir einfielen, kamen mir dumm und kindisch vor.
»Wer ist Ischtar?«, wagte ich schließlich eine zu stellen.
»Die Vampire sehen in ihr eine große Göttin, die vor Urzeiten auf diesen Planeten verbannt wurde. Ischtar ist nur einer ihrer Namen. Ein anderer ist: Die Große Maus.«
»Verbannt wofür?«
»Ischtar hat eine Untat begangen, deren Bewandtnis uns auf ewig verschlossen bleibt.«
»Ischtar Borissowna? Eine Untat?«, wunderte ich mich. »Bei meiner Unterhaltung mit ihr hatte ich nicht den Eindruck, dass ...«
»Du hast dich nicht mit der Großen Maus unterhalten«, unterbrach mich Osiris, »sondern mit einem ihrer Köpfe.«
»Ergibt das einen Unterschied ?«
»Selbstverständlich. Ischtar hat zwei Gehirne, eines im Rücken und eines im Kopf. Ihre übergeordnete Persönlichkeit hängt am Rückenmark, das keine Sprache hat, von daher ist die Kommunikation mit ihr erschwert. Das heißt, ein Vampir kommuniziert mit ihr, wenn er Bablos zu sich nimmt. Aber das ist eine sehr spezielle Art Kommunikation ...«
»O.k.«, sagte ich, »wenn das so ist... Aber warum wurde ausgerechnet unser Planet als Verbannungsort ausgesucht?«
»Er wurde nicht ausgesucht. Er wurde überhaupt erst geschaffen, weil man ein Gefängnis brauchte.«
»Wie hat man sich das vorzustellen? Man schuf die Erde und irgendwo darauf ein Gefängnis, in das man die Große Göttin sperrte?«
»Das Gefängnis hat keine Adresse, wenn du das meinst.«
»Logisch betrachtet, wäre die Adresse dort, wo sich Ischtars Körper befindet«, bemerkte ich spitzfindig.
»Du hast es noch nicht verstanden«, antwortete Osiris. »Ischtars Leib ist auch nur Teil des Gefängnisses. Das Gefängnis ist an keinem bestimmten Ort, es ist überall. Fängst du an, die Wände deines Kerkers mit der Lupe abzusuchen, gelangst du in einen neuen Kerker. Du kannst ein Staubkorn vom Boden auflesen, unter das Mikroskop legen, schon siehst du die nächste Zelle. Und das geht immer so weiter - so unendlich, dass einem übel werden kann. Es funktioniert nach dem Kaleidoskop-Prinzip. Selbst die Illusionen sind hierbei so beschaffen, dass sich ein jedes ihrer Elemente in eine unbegrenzte Zahl neuer Illusionen aufsplittert. Der Traum, den du träumst, verwandelt sich sekündlich in etwas anderes.«
»Die ganze Welt ist also ein Gefängnis?«
»Ja. Und man kann sagen, was man will: Es ist tadellos gebaut, picobello bis ins kleinste Detail. Nehmen wir zum Beispiel die Sterne. Die Menschen im Altertum glaubten, es wären Zierkörper an den Himmelsschalen. Was ja eigentlich nicht falsch ist. Ihre hauptsächliche Funktion ist es, Goldpünktchen am Himmel zu sein. Gut, man könnte sich eine Rakete nehmen und zu irgendeinem dieser Sterne hinfliegen, und viele Millionen Jahre später sähe man sich einem riesigen Feuerball gegenüber. Man könnte sich auf einen seiner Planeten hinunterhangeln, könnte ein Stück Mineral von seiner Oberfläche klauben, dessen chemische Zusammensetzung bestimmen. Alles immer neue Zierkörper. Doch solche Reisen haben keinen Sinn. Es sind Rundgänge durch die Kasematten, Exkursionen, aus denen niemals eine Flucht werden kann.«
»Sekunde«, sagte ich. »Nehmen wir also an, unser Planet wäre erschaffen worden, um als Gefängnis zu dienen, und die Sterne wären Goldpunkte am Himmel. Aber das Weltall mitsamt den Sternen bestand doch lange vor Entstehung unseres Planeten. Etwa nicht?«
»Du kannst dir nicht vorstellen, wie raffiniert dieses Gefängnis entworfen ist. Spuren der Vergangenheit, wo man hinschaut! Und dabei ist alles nur Kerkerarchitektur. Design.«
»Wie das?«
»Ganz einfach. Zugleich mit der Welt wurde ein Vergangenheitspanorama von höchster Glaubwürdigkeit geschaffen. All diese unendlichen Raum- und Zeitperspektiven sind Theaterkulissen. Das haben die Physiker und Astronomen übrigens auch schon gemerkt. Wenn man einen Lichtstrahl in den Himmel entsände, so sagen sie, käme er nach vielen Jahren von der anderen Seite des Alls wieder angeflogen ... Das Weltall ist ein geschlossener Raum. Stell dir vor: Nicht einmal das Licht kann diese Welt verlassen. Es findet keine Lücke. Bedarf es noch eines Beweises, dass wir gefangen sind?«
»Das Licht kann vielleicht nicht
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