Das fuenfte Imperium
dasselbe geworden. Du kannst nicht sagen: Das hier ist der Geist, und das da ist das Universum. Alles ist aus Wörtern gemacht.«
»Wie kommt man überhaupt darauf, dass Geist B ein Modell des Universums ist?«
»Zwei aufeinander gerichtete Spiegel schaffen einen unendlichen Raum. Das ist unsere Welt. Der doppelseitige Spiegel, den die Chaldäer am Gürtel tragen, soll diesen Mechanismus symbolisieren.«
Skeptisch beäugte ich die Kerosinlampe mit den zwei Spiegeln, die auf dem Tisch stand. Wie ein Modell des Universums sah das nun gerade nicht aus. Bestenfalls hätte man das Ding für den ersten russischen Laser ausgeben können, konstruiert von einem gewissen Kulibin, Naturtalent aus Samara, im Jahre 1883. Obwohl: Mit solcher PR ausgestattet, wäre es tatsächlich ein Modell des Universums, fiel mir ein. So gesehen, hatte Osiris recht.
»Wie zuvor die Große Maus stand nun der Mensch vor der Frage, wer er war und wozu in diese Welt geraten. Er begann nach dem Sinn des Lebens zu suchen. Und das bemerkenswerterweise, ohne seine Grundfunktion, derentwegen er gezüchtet worden war, zu vernachlässigen. Den Sinn der Schöpfung - einen, der die Große Maus zufriedengestellt hätte - fand die Menschheit leider nicht. Doch immerhin will sie den Gottesbeweis gefunden haben. Noch so ein unvorhergesehener Effekt des Wirkens von Geist B.«
»Lässt sich dieser Gott irgendwie spüren?«
»Er ist für Verstand und Gefühl gleichermaßen unzugänglich. Zumindest in den menschlichen Dimensionen. Aber es gibt Vampire, die meinen, wir wären ihm nahe, wenn wir Bablos zu uns nehmen. Von daher auch der alte Spruch, demzufolge das Bablos uns zu Göttern macht.«
Er sah auf die Uhr.
»Aber probieren ist besser als studieren.«
DIE ROTE ZEREMONIE
Die drei nachfolgenden Tage meines Lebens wurden vom Hamlet spurlos geschluckt, sie versanken im gräulichen Nichts, wie Graf Dracula trefflich bemerkt hatte. Am Morgen des vierten Tages rief Enlil Maratowitsch an.
»Hallo, Rama!«, sagte er. »Lass dir gratulieren!«
»Was ist los?«
»Heute findet die rote Zeremonie statt. Du wirst Bablos verkosten dürfen. Ein bedeutender Tag in deinem Leben. «
Ich sagte erst einmal nichts.
»Mitra sollte dich abholen«, fuhr Enlil Maratowitsch fort, »aber er ist nicht aufzutreiben. Ich würde gern selber vorbeikommen, habe aber zu tun. Kannst du zu Baals Datscha kommen?«
»Zu wem?«
»Baal Petrowitsch, das ist mein Nachbar. Dein Fahrer kennt sich aus.«
»Warum nicht«, sagte ich. »Wenn der Fahrer sich auskennt. Wann soll ich dort sein?«
»Fahr einfach los, ohne Eile. Ohne dich fangen die nicht an. Hera kommt auch.«
»Was soll ich anziehen?«
»Was du willst. Nur bitte nichts essen vorher. Bablos nimmt man auf nüchternen Magen zu sich. Machs gut, bis dann.«
Zwanzig Minuten später saß ich im Auto.
»Baal Petrowitsch?«, fragte Iwan. »Kenn ich. Sosnowka 38. Haben wirs eilig?«
»Ja«, erwiderte ich. »Dringende Angelegenheit.«
Ich war so nervös, dass ich in Trance verfiel. Die Chaussee erschien mir als Fluss, der mich zum Abgrund schwemmte. In meinem Kopf herrschte heillose Konfusion. Ich wusste nicht, welcher Wunsch in mir stärker war: so schnell wie möglich bei Baal Petrowitsch zu sein oder im Gegenteil das Weite zu suchen: nach Domodedowo fahren, ein Flugticket kaufen und abdüsen in irgendein Land, für das man kein Visum brauchte. (Was allerdings schon deshalb nicht gegangen wäre, weil ich keine Papiere bei mir hatte.)
Es herrschte wenig Verkehr, und wir kamen so zügig an unser Ziel, wie es einem in Moskau nur selten gelingt. Nachdem wir den stellwerkähnlichen Kontrollposten in einem dicht mit Überwachungskameras besetzten Zaun passiert hatten, brachte Iwan den Wagen auf der leeren Parkfläche vor dem Haus zum Stehen.
Baal Petrowitschs Haus war ein Mittelding zwischen Lenin-Bibliothek im Embryonalstadium und frühgeborener Reichskanzlei. Das Gebäude selbst schien nicht allzu groß, doch die breite Freitreppe und die Reihen von Pfeilern aus schmutzig gelbem Stein ließen es wuchtig und monumental erscheinen. Fürwahr ein passender Ort für eine Initiation, wenn nicht irgendeine unheilvolle magische Prozedur.
»Da steht ihr neuer!«, sagte Iwan.
»Was?«
»Hera Wladimirownas neuer Wagen. Der Bentley.«
Ich blickte umher, konnte aber kein Auto entdecken.
»Wo denn?«
»Da unter dem Baum.«
Iwans Finger stieß in Richtung des Gebüschs, das den Parkplatz einrainte, und nun sah auch ich das große
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