Das fuenfte Imperium
Aiwasowski-Seestück. Von der Datscha irgendeines diebischen Buchhalters unterschied sich das Interieur nur dadurch, dass Rüstung und Aiwasowski echt waren.
Wir liefen durch einen Flur und blieben vor einer hohen zweiflügeligen Tür stehen. Baal Petrowitsch wandte sich zu uns um.
»Bevor wir eintreten«, sagte er, »sollten wir näher Bekanntschaft schließen.«
Er tat einen Schritt auf mich zu, näherte sein Gesicht dem meinen, dann sackte sein Kinn kurz zur Brust, so als kämpfte er plötzlich mit dem Schlaf. Ich zückte das Taschentuch, um meinen Hals abzutupfen, doch der Biss war hochprofessionell: keinerlei Spuren.
Baal Petrowitsch verengte die Augen zu einem Spalt und schmatzte. Das zog sich bestimmt eine Minute hin. Die Situation wurde peinlich - am liebsten hätte ich nun ihn gebissen, nur um zu sehen, woran er sich so lange aufhielt. Schließlich klappte er die Augen wieder auf und warf mir einen schalkhaften Blick zu.
»Suchst du Anschluss bei den Tolstoianern?«
»Wieso?«
»Osiris. Möchtest du in seine Sekte eintreten?«
»Vorläufig nicht«, erwiderte ich ungerührt. »Ich ... erweitere meinen Bekanntenkreis, das ist alles. Aber sagen Sie bloß nichts Enlil Maratowitsch. Wozu den alten Mann unnötig aufregen.«
»Keine Bange, ich sage nichts. Aber das gibt sich bald, Rama. Du kriegst von uns Bablos, dann hast du keine Sektierer mehr nötig.«
Ich hob die Schultern. Baal Petrowitsch wechselte zu Hera hinüber, beugte sich zu ihrem Ohr und nickte kurz; es hätte die diskrete Antwort auf eine leise Frage sein können. Dass ein Vampir binnen kürzester Zeit zweimal zubiss, hatte ich noch nicht erlebt - aber Baal Petrowitsch schien versiert darin zu sein. Nach ein paar Schmatzlauten sagte er: »Freut mich, die Bekanntschaft mit einer so zielstrebigen Person zu machen.«
Zu Hera verhielt er sich deutlich galanter als zu mir. Benötigte auch weniger Zeit für sie.
»Seltsam, dass meine Bekanntschaften in letzter Zeit immer auf dasselbe hinauslaufen«, murmelte Hera unzufrieden.
»Das hier ist keine Privatsache«, erwiderte Baal Petrowitsch. »Die Bisse sind dienstlicher Natur. Um zu wissen, wie ich euch zu instruieren habe, brauche ich Einblick in euer Seelenleben. So, Freunde, und nun darf ich bitten ...«
Mit diesen Worten öffnete er die Tür.
Dahinter lag ein hell erleuchteter kreisrunder Saal. Zwei Farben waren vorherrschend: Gold und Azur. Azurblau waren die Wände, das Gold glänzte von den Pilastern, dem Deckenstuck und den Bilderrahmen. Die Bilder selbst waren kaum interessant, in ihrer beruhigenden Eintönigkeit wirkten sie eher wie Tapeten: romantische Ruinen, berittene Aristokraten, galante Schäferstündchen im Wald. Die Decke war mit einem Wolkenhimmel ausgemalt, in der Mitte glänzte, von verborgenen Lampen angestrahlt, ein großes Sonnenrelief mit Augen, Grinsemund und Ohren; ein bisschen wie Chruschtschow. Sein zufriedenes rundes Gesicht spiegelte sich im Parkett.
Geblendet von dieser Pracht, verharrte ich im Türrahmen; auch Hera war stehen geblieben.
»Nun tretet doch ein!«, mahnte Baal Petrowitsch. »Die Zeit drängt.«
Wir gingen hinein in den Saal. Außer fünf Sesseln, die im Halbkreis um den Kamin standen, gab es kein weiteres Mobiliar. Die Sessel waren High-Tech: Servomotor, Halbhelm, diverse Halterungen, komplizierte Verkabelung - man hätte militärische oder kosmonautische Zwecke vermuten können. Ein flaches Steuerpult auf schlankem Stahlfuß stand in der Nähe. Der Kamin brannte, was kurios erschien, da gleichzeitig die Klimaanlage lief. Zwei Chaldäer in Goldmasken machten sich am Feuer zu schaffen.
»Bei Ihnen sieht es ja genauso aus wie bei Enlil Maratowitsch«, bemerkte ich. »Dieser runde Saal mit Kamin und Sesseln ... Obwohl, dort ist alles ein bisschen bescheidener.«
»Das muss nicht verwundern«, sagte Baal Petrowitsch. »Räume mit gleicher Funktion haben zwangsläufig Übereinstimmungen. So wie alle Geigen die gleiche Form haben. Nehmt Platz!«
Er bedeutete den Chaldäern mit einer Geste, sich zu entfernen. Einer von ihnen schüttete erst noch Kohle aus einer Papiertüte mit der Aufschrift BBQ Charcoal in den Kamin.
»Während der roten Zeremonie ist es üblich, Geld zu verbrennen«, erläuterte Baal Petrowitsch. »Das hat keinerlei praktischen Sinn, es ist einfach eine unserer nationalen Traditionen, wie die Folklore sie überliefert. Wir können uns zwar nicht über knappe Mittel beklagen, trotzdem verbrennen wir lieber alte, von der
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