Das fuenfte Imperium
trennte die Verbindung.
Ich legte den Hörer auf und setzte mich auf das Sofa.
Ein Sündenfall hatte mir gerade noch gefehlt. Alles, was ich wollte, war, still im Dunkeln zu sitzen und zur Ruhe zu kommen. Ich hoffte auf einen rettenden Gedanken, einen raffinierten Ausweg aus der heiklen Lage. Es musste ihn geben, ich brauchte mich nur ein paar Minuten zu konzentrieren, dann würde ich darauf stoßen. Ich schloss die Augen.
In diesem Moment klingelte es.
Ich stand auf und trottete ergeben zur Tür.
Aber draußen war niemand. Auf der Schwelle lag eine kleine schwarze Schatulle. Ich trug sie ins Wohnzimmer. Legte sie auf den Tisch und ging ins Bad. Irgendwie war mir plötzlich danach zu duschen, obwohl ich das heute schon einmal getan hatte.
Ich seifte mich gründlich ein. Kämmte mich, schmierte Gel in die Haare. Ging ins Schlafzimmer und zog meine besten Klamotten an: Hemd, Hose, Jackett.
Dann ließ sich der Moment der Wahrheit nicht länger hinausschieben. Ich ging zurück ins Wohnzimmer und öffnete die Schatulle.
Auf rotem Samt ruhte ein kleines Gefäß aus Rauchglas in Form einer Fledermaus mit eingeklappten Flügeln. Anstelle des Kopfes ein Stöpsel in Form eines menschlichen Schädels. Ein kleiner Zettel lag daneben.
Rama , nimm Dir einen Augenblick Zeit und lerne die Grußformel auswendig, die ein angehender Vampir traditionell aufzusagen hat. Sie ist sehr einfach und heißt: Rama II. ist in Heartland gelandet! Ich hoffe, das kriegst Du hin. Vielleicht wirst Du Dich fragen: wieso Rama II.? Unserer Tradition zufolge wird dem Namen des Vampirs bei festlichen Anlässen eine Nummer angefügt , die anstelle eines Familiennamens steht. Ich zum Beispiel bin Enlil VII. Was natürlich nicht heißt, dass es vor mir sechs andere Enlils gegeben hat und vor Dir einen Rama. O nein, es waren ihrer weit mehr. Der Kürze halber bedienen wir uns nur der letzten Ziffer dieser Ordnungszahl. Enlil XI. ist wieder Enlil I. Sei nicht gar zu aufgeregt und mach Dir keine Sorgen. Bei uns geht alles glatt. Viel Erfolg, Enlil
Ich betrachtete das Flakon. Vermutlich waren alle weiteren Instruktionen in dem Präparat enthalten.
Heartland, wenn meine Erinnerungen nicht trogen, musste irgendein mythischer geopolitischer Fetisch sein - immer mal wiedergekäut an runden Tischen in den Redaktionsstuben der nationalen Befreiungsbewegung, wenn die ihren Sponsoren zeigen wollte, dass mit Volldampf gearbeitet wurde. Die Bedeutung des Begriffs war mir nicht bekannt. Den Teilnehmern dieser Rundtischgespräche wohl auch nicht.
Was aber konnte hier damit gemeint sein? Irgendein heiliger Ort? Vermutlich eine Metapher ... Metaphern gibt es viele, so ging es mir durch den Kopf. Was, wenn sie dich mit irgendeinem Obdachlosen zusammensperren und sagen: Wenn du ein Vampir werden willst, musst du sein Herz essen ... Sonst gibt’s kein Heartland ... Was täte man dann?
»Das erfahren wir gleich«, sprach eine scharfe, entschlossene Stimme im Raum.
Ich begriff, dass es meine eigene war. Und eine weitere Merkwürdigkeit fiel mir auf: Während ich noch von allerlei Zweifeln und Ängsten erfüllt war, hatten meine Hände schon geschäftig den Kristallstöpsel aus dem Flakon gezogen ... Ein Teil von mir flehte um Aufschub der Prozedur - nur ja nichts übereilen! -, doch die Zunge hatte längst das Zepter übernommen.
Im Flakon befand sich genau ein Tropfen Flüssigkeit. Ich ließ ihn in den Mund rinnen, verrieb ihn sorgfältig am Gaumen.
Nichts geschah.
Wahrscheinlich wirkt das Präparat mit Verzögerung! dachte ich und setzte mich auf das Sofa. Die Grußformel fiel mir ein, die auswendig zu lernen Enlil Maratowitsch mich gebeten hatte.
»Rama II. ist in Heartland gelandet! Rama II. ist in Heartland gelandet!«, sprach ich leise vor mich hin.
Nach einer Minute, als ich mir sicher war, den Satz unter keinen Umständen je wieder vergessen zu können, hörte ich auf damit. Im selben Augenblick vernahm ich Musik.
Irgendwo erklang Verdis Requiem. (Es geschah neuerdings öfter, dass ich klassische Musikstücke erkannte. Ich konnte mich nicht genug wundern über meine fundierten Kenntnisse auf diesem Gebiet.) Wahrscheinlich wurde es eine Etage über mir gehört, vielleicht auch nebenan, das war nicht genau auszumachen. Kurzzeitig schien es mir, als wäre es die Musik, die die Gardinen zum Schaukeln brachte, nicht der Wind.
Ich entspannte mich und hörte zu.
Ob es an den düsteren Klängen lag oder am Flimmern des Abendlichts hinter den sich bauschenden
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