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Das fuenfte Imperium

Titel: Das fuenfte Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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sie ist rein symbolisch und hat mit dem Göttertrunk nichts zu tun. Noch einen Versuch?«
    Ich dachte: Wenn Hera sich geirrt hat, dann liege ich mit meiner Version womöglich richtig?
    »Vielleicht, dass die Vampire mit auf Konten deponiertem Geld etwas anstellen? Sie horten irgendwo im Offshore eine größere Summe, und ... verflüssigen es irgendwie?«
    Auch dafür hatte Enlil Maratowitsch nur ein fröhliches Lachen übrig. Die Unterhaltung bereitete ihm sichtlich Spaß.
    »Rama, sag mal! Wieso sollten die Vampire Finanzen anders gebrauchen können als die Menschen? Geld ist doch eine reine Abstraktion!«
    »Eine ziemlich konkrete immerhin!«, sagte ich.
    »Das schon. Aber du musst einsehen, dass Geld jenseits des Verstandes nicht existiert.«
    »Das kann ich ganz und gar nicht einsehen«, hielt ich dagegen. »Wie Sie so gern in aller Welt herumerzählen, gab es in meinem Leben eine Zeit, da habe ich als Packer im Supermarkt gearbeitet und bekam Lohn dafür gezahlt. Und ich kann mit Bestimmtheit sagen, dass diese Zahlung von außerhalb meines Verstandes erfolgte. Hätte mein Verstand das selbst erledigen können, wäre ich bestimmt zu Hause geblieben.«
    »Aber hättest du deinen Lohn, sagen wir, einer Kuh unter die Nase gehalten, sie hätte nichts damit anzufangen gewusst - und das nicht, weil die Summe so beschämend war. Für sie wäre dein Geld nur ein Bündel knittriges Papier. Geld kommt in der Umwelt des Menschen nicht vor, nur die Aktivitäten zu seiner Beschaffung drücken ihr einen Stempel auf. Merke: Geld ist kein Seiendes, nur eine Objektivation.«
    »Objektivation, was ist das denn?«
    »Ich gebe dir ein Beispiel. Stell dir vor, in der Bastille sitzt ein Gefangener ein, der irgendein übles Verbrechen begangen hat. Eines Tages im Morgengrauen wird er auf einen Karren geladen und vor die Tore der Stadt gefahren. Unterwegs schwant ihm, dass es zur Hinrichtung geht. Auf dem Richtplatz ist eine Menge Volk versammelt. Er wird zum Gerüst geführt, das Urteil wird verlesen, sein Kopf unter die Guillotine gelegt ... Die Klinge fährt herab, der Kopf fliegt in den Korb ...«
    Enlil Maratowitsch klatschte sich mit der flachen Hand auf das Knie.
    »Ja, und?«, fragte ich nervös.
    »In diesem Moment wacht er auf und besinnt sich, dass er gar kein Gefangener ist, sondern Transportkuli im Supermarkt. Dem, während er schlief, ein großer, herzförmiger Fächer von der Wand auf die Gurgel gefallen ist.«
    »Er konnte gar nicht herunterfallen«, sagte ich leise. »Er war angeklebt.«
    Enlil Maratowitsch überging meinen Einwand geflissentlich.
    »Mit anderen Worten«, fuhr er fort, »es kommt vor, dass in der Realität etwas geschieht, was der Mensch nicht mitkriegt, weil er schläft. Nichtsdestoweniger kann er das Geschehene nicht ignorieren. Also gebiert der Geist einen ausführlichen, vertrackten Traum, der das Geschehene erklären kann. Solch einen Traum nennt man Objektivation.«
    »Aha«, sagte ich. »Sie wollen damit sagen, Geld sei ein schöner Traum, den die Leute träumen, um sich etwas zu erklären, was sie fühlen, ohne es zu wissen.«
    »Exakt.«
    »Ich denke, die Leute wissen sehr gut Bescheid.«
    »Das denken sie.«
    »Aber Wissen ist Denken. Ich denke, also weiß ich.«
    Enlil Maratowitsch warf mir einen prüfenden Blick zu.
    »Weißt du, was eine Kuh denkt, die ihr Leben lang in einer elektrischen Melkanlage gemolken wird?«
    »Eine Kuh denkt nicht.«
    »Und ob sie denkt! Nur nicht so wie die Menschen. Nicht in abstrakten Begriffen, sondern in emotionalen Reflexen. Und auf ihrem Niveau hat sie auch eine Vorstellung von dem, was passiert.«
    »Nämlich?«
    »Sie hält die Menschen für ihre missratenen Kinder. Schrecklich ungezogene Bälger - aber doch die ihren, die zu ernähren ihr aufgegeben ist, weil sie sonst Hungers stürben. Deshalb malmt sie Tag für Tag ihren Klee und müht sich, so viel Milch wie möglich zu geben ...«
    Enlil Maratowitschs Handy klingelte. Er klappte es auf, hob es ans Ohr.
    »Nein, das dauert noch«, sprach er hinein. »Ruhig erst mal die aktuellen Fragen. Die Tombola später.«
    Er schaltete ab und steckte das Handy in die Tasche.
    »Also«, sagte er. »Jetzt musst du die Einzelteile nur noch zusammenpuzzeln. Kriegst du es hin?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Da kannst du mal sehen!«, sagte er und hob belehrend den Zeigefinger. »Ich habe dich an die Schwelle unserer Welt geführt. Bis vor die Tür. Aber du kriegst sie nicht auf. Ach was, du siehst die Tür nicht mal.

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