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Das fuenfte Imperium

Titel: Das fuenfte Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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noch?«
    Enlil Maratowitsch dachte nach.
    »Wie soll ich das erklären ... Stell dir vor, ein Mensch sitzt in einer nackten Betonzelle und produziert Strom. Sagen wir, indem er ein paar aus der Wand ragende eiserne Hebel vor-und zurückschiebt. Das wird er nicht lange aushalten. Er denkt sich: Was tue ich hier eigentlich? Wieso ziehe ich von früh bis abends an diesen Hebeln? Ob ich hier nicht irgendwie rauskomme? Das wird er doch denken, oder?«
    » Sehr wahrscheinlich.«
    »Hängt man ihm nun aber einen Plasmabildschirm vor die Nase und lässt eine Videokassette mit Ansichten von Venedig laufen, und besagte Hebel baut man so geschickt in das Bild ein, dass sie wie Riemen aussehen, mit denen er über die Kanäle gondeln kann? Und für ein paar Wochen im Jahr macht man Skistöcke aus den Hebeln und blendet Courchevel auf dem Bildschirm ein? Dann wird unser Gondoliere keine Einwände mehr haben. Höchstens befürchtet er, dass ihm jemand seinen Platz auf dem Heckschnabel streitig macht. Gerudert wird mit umso größerem Enthusiasmus.«
    »Aber es muss ihm doch auffallen, dass die Bilder sich wiederholen?«
    »O ja, das wird es«, seufzte Enlil Maratowitsch. »Das hat schon Salomo gepredigt. Der aus der Bibel. Darum ist die Länge eines Menschenlebens so bemessen, dass die Leute nicht dazu kommen, gar zu schwerwiegende Schlussfolgerungen zu ziehen.«
    »Da ist noch etwas anderes, das ich nicht verstehe«, sagte ich. »Auf diesem Plasmabildschirm ließe sich ja alles mögliche zeigen. Venedig, die Sonnenstadt, was weiß ich. Wer entscheidet, was die Ruderer zu sehen kriegen?«
    »Wie, wer? Das entscheiden sie selbst.«
    »Ach? Und wozu gucken wir dann seit so vielen Jahren diesen ... dieses ...«
    »Du meinst die Volksmusiksendungen? Wegen der Textsicherheit«, entgegnete Enlil Maratowitsch grinsend und begann zu trällern: »Jetzt fahrn wir übern See, übern See ... Damit fängt es an.«
    Nun ja. Die Metapher war eindeutig. Aber was meinte er mit: Damit fängt es an? Ich durfte damit rechnen, dass mir Enlil Maratowitsch nur wieder eines seiner Witzchen verabreichen wollte, konnte mir die Nachfrage trotzdem nicht verkneifen.
    »Und was ist das Ende?«
    »Ein Ruder war nicht dran, ha ha!«
    Ich vertiefte mich seufzend noch einmal in die erste der beiden Zeichnungen. Dann in die zweite. Der freie Raum am rechten Rand erschien geheimnisvoll und ein bisschen beängstigend.
    »Was ist hier drüben?«, fragte ich, mit dem Finger hindeutend.
    »Willst dus wissen?«
    Ich nickte.
    Enlil Maratowitsch zog die Schreibtischschublade auf, holte einen Gegenstand hervor und warf ihn mir zu.
    »Fang auf!«
    In meiner Hand landete ein schwarzes Fläschchen in Form einer Fledermaus mit eingeklappten Flügeln. Haargenau wie das, was ich am Tag des Großen Sündenfalls übersandt bekommen hatte. Ich begriff.
    »Sie wollen, dass ich schon wieder ...«
    »Leider nicht zu umgehen!«
    Ich war bestürzt. Enlil Maratowitsch lächelte mir aufmunternd zu.
    »Die Chaldäer betrachten das Leben mit Vorliebe als die metaphorische Besteigung einer Zikkurat, auf deren oberster Terrasse Göttin Ischtar auf sie wartet. Sie kennen die Geschichte vom Turmbau zu Babel und glauben zu wissen, was damit gemeint ist. Aber die Menschen sind auf dem Holzweg. Die sakrale Symbolik bedient sich häufig der Inversion. Oben ist unten. Leere ist Fülle. Die größte anzunehmende Karriere ist der freie Fall, eine Pyramide ist das wahre Stadion und der höchste Turm in Wirklichkeit ein tiefer Abgrund. Der Fuji befindet sich zuunterst, Rama ... Ist doch nicht das erste Mal für dich!«
    Irgendwie schien diese Beschwörung zu wirken. Ich zog den Schädelpfropfen aus dem Fläschchen, ließ den einen Tropfen, der darin war, auf die Zunge rinnen und verrieb ihn am Gaumen. Ein paar Sekunden verstrichen, dann sagte Enlil Maratowitsch:
    »Halt dich nicht zu lange dort auf. Du wirst gebraucht hier oben.«
    »Dort heißt jetzt mal wo?«
    Enlil Maratowitschs Lächeln wurde noch strahlender, und er deklamierte:
Für Vampire gilt die Richtschnur:
Achtern abwärts! Aus dem Licht nur!
    »Schon klar. Ich meine nur: Wo soll ich jetzt hingehen?«
    »Sitzenbleiben!«, sagte Enlil Maratowitsch, hob die Hand und drückte auf den vor ihm stehenden Sputnik.
    Auf einmal kippte das Zimmer nach vorne weg. Dann begriff ich, dass nicht das Zimmer gekippt war, sondern der gotische Lehnstuhl, auf dem ich saß - der Fußboden hatte sich unter ihm aufgetan, und ehe ich dazukam zu schreien, rutschte ich

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