Das fuenfte Imperium
zwiespältigen Lage. Der Gesellschaft präsentieren Sie mich als vollwertigen und gleichberechtigten Vampir. Zugleich aber lassen Sie mich fortwährend im Dunkeln tappen, was die grundlegenden Fundamente unserer Werteordnung angeht. Den Sinn eines jeden Satzes muss ich Ihnen aus der Nase ziehen. Wäre es nicht an der Zeit...«
»Doch, doch«, unterbrach mich Enlil Maratowitsch seufzend. »Du hast völlig recht, Rama, es ist an der Zeit. Komm mit in mein Arbeitszimmer.«
Ich schaute auf die Menge im Saal.
»Kehren wir noch mal zurück?«
»Das will ich hoffen«, erwiderte Enlil Maratowitsch.
AGGREGAT M 5
Enlil Maratowitschs Kabinett war ein großer, eichengetäfelter, sachlich eingerichteter Raum. Quer zur Wand stand ein bescheidener Schreibtisch, dahinter ein Drehstuhl. Dafür beherrschte ein in der Mitte stehender altertümlicher Sessel mit hoher, beschnitzter Lehne und stumpfem Blattgoldüberzug den Raum. So stellte ich mir den ersten elektrischen Stuhl in der Geschichte vor - entworfen von Leonardo da Vinci in seltener Mußestunde, da er einmal nicht die Mumie der Maria Magdalena vor den Agenten des wutentbrannten Vatikan in Schutz zu nehmen hatte. Wahrscheinlich platzierte Enlil Maratowitsch sündige Vampire auf diesem Sitzpranger und las ihnen vom Schreibtisch aus die Leviten.
Über dem Schreibtisch hing ein Gemälde an der Wand. Dargestellt war eine merkwürdige Szenerie: Heilanwendung in einer viktorianischen Irrenanstalt, konnte man meinen. Vor loderndem Kamin saßen fünf Männer in Frack und Zylinder. Sie waren mit Armen und Beinen an ihre Stühle gefesselt; quer über den Rumpf eines jeden spannte sich ein breiter Ledergurt - der Gedanke an einen vorsintflutlichen Flugzeugsalon lag nicht fern. Außerdem hatten sie alle einen Stecken zwischen den Kiefern klemmen, der durch ein im Nacken verknotetes Tuch fixiert war. (Derlei Pflöcke, entsann ich mich, bekamen Epileptiker bei einem Anfall zwischen die Zähne gesteckt, damit sie sich nicht die Zunge zerbissen.) Mit viel Sorgfalt hatte der Künstler den Abglanz des Feuers auf dem Flor der Zylinder wiedergegeben. Ferner gab es noch, allerdings nur schemenhaft im Halbdunkel, einen Herrn in langer, dunkelroter Robe auf dem Bild zu sehen.
Gegenüber hingen zwei Graphiken.
Die eine zeigte einen schwungvoll durch die nächtliche Landschaft wischenden schwarzgrünen Schatten. ( Alan Greenspan's Last Flight , stand darunter.) Auf der anderen prangte eine tiefrote Nelke in drei perspektivischen Ansichten. Daneben ein Schriftfeld in großen Buchstaben:
Innenrohrnelke, unterkalibrige. Ausrüstungsgegenstand für CNN-KampfSchwimmer, BBC-Aufklärungstrupps, mobile Fallschirmjägereinheiten bei den germanischen Telewaffen und anderer NATO-Spezialeinheiten.
Sonst gab es weiter keine Sehenswürdigkeiten - abgesehen von einem kleinen metallenen Sputnik-1-Modell und dem silbernen Briefbeschwerer (Puschkin in Gehrock und Zylinder, stabile Seitenlage, das versonnene Gesicht in die Faust gestützt - ganz sterbender Buddha) auf Enlil Maratowitschs Schreibtisch. Puschkin beschwerte einen Stoß weißes Papier, daneben lag ein Souvenirfüllfederhalter in Schwertform. Im Zimmer roch es nach Kaffee; eine Kaffeemaschine war aber nirgends zu entdecken, vielleicht war sie im Schreibtisch versteckt.
Es herrschte eine geradezu verdächtige Reinlichkeit und Akkuratesse. Als wäre hier eben ein Mord geschehen, die Leiche versteckt und jede Spur roter Flüssigkeit getilgt worden. Aber vielleicht war es auch nur der gedeckte Steinfußboden mit den schwarzen Fugen, der diese Assoziation in mir weckte. Er hatte etwas extrem Düsteres, Verschwiegenes.
Enlil Maratowitsch hieß mich auf dem Lehnstuhl in der
Zimmermitte Platz nehmen und setzte sich selbst hinter den Schreibtisch.
»Also«, begann er, aufschauend. »Vom Bablos hast du schon gehört?«
Ich nickte.
»Was weißt du darüber?«
»Die Vampire sammeln alte Geldscheine ein, die vor Lebenskraft triefen. Irgendetwas tun sie damit. Bestimmt legen sie sie in Spiritus ein. Oder brauen was draus.«
Enlil Maratowitsch lachte.
»Du hast dich wohl mit Hera abgesprochen? Diese Version kennen wir schon. Geistreich, flott und ziemlich gothic, wie es bei euch heißt. Aber weit gefehlt. In alten Geldscheinen steckt keine Lebenskraft, sondern nur Schweiß. Und haufenweise Mikroben. So einen Sud nähme ich nicht einmal auf persönlichen Befehl des Genossen Stalin zu mir. Geldscheine spielen tatsächlich eine Rolle in unseren Ritualen, doch
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