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Das fuenfte Imperium

Titel: Das fuenfte Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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Einschusslöcher in Möbeln und Gemälden. Auch an der Schläfe des Graukopfes fand sich eine seltsame Narbe - es konnte aber auch ein längliches Muttermal sein.
    Im ersten sowjetischen Raum übernahm eine über zwei Schemel gelegte Tür die Funktion des Altars. Auch auf ihr stand ein Telefon: schwarz, mit hoher Gabel und einer Kurbel an der Seite wie bei einem Autoanlasser. Der Raum war beinahe ganz leer. Fahnen in den Ecken und gekreuzte Säbel an der Wand als einziger Schmuck. Dafür gab es in der Altarnische gleich zwei Köpfe zu sehen - einer hing in der Mitte, der andere einsam und verwaist in einer Ecke. Neben dem Altar stand ein mit roter Schleife umwundener Trauerkranz -genauso vertrocknet wie die Köpfe dahinter.
    Im nächsten Raum diente als Altar ein massiver Büroschreibtisch. Darauf ein Stapel Pappordner, mit Akten gefüllt. Wieder gab es ein Telefon, diesmal aus schwarzem Ebonit, Ruhe und Verlässlichkeit ausstrahlend. Längs der Wände standen Bücherschränke, die Borde voll mit gleichförmigen braunen Bänden. In der Altarnische fehlte der Kopf. An seiner Stelle ragten altmodische, mit Isolierband umwickelte Plastikrohrstutzen aus dem Fell.
    Dafür war der letzte Raum ein wahres Museum spätsowjetischer Alltagskultur. Eine Unmenge an Dingen hatte hier Platz gefunden: klobige Kristallvasen und Römergläser auf Ansichten, Wandteppiche, Nerzpelzmäntel auf Kleiderbügeln, ein riesiger tschechischer Kronleuchter an der Decke ... In einer Ecke stand ein truhenartiger Farbfernseher mit Staubschicht, und mitten auf dem Altartisch, zwischen alten Zeitungen und Photoalben, war wieder ein Telefon platziert - diesmal aus weißem Plastik, mit dem Staatswappen der UdSSR auf der Wählscheibe. Einen Kopf gab es auch, einen ganz gewöhnlichen, unauffälligen Schrumpfkopf mit Haarknoten, hennagefärbt, und fetten Ohrringen mit Rubinen.
    Weiter ging es nicht. Der realsozialistische Saal, wie ich diesen Altarraum für mich getauft hatte, endete in einer Stahltür. Daran hing ein Schild mit reichlich Patina und putzig altmodischen Prägebuchstaben:
    Große Maus
    Ich entdeckte einen Klingelknopf an der Wand. Ein Weilchen trat ich unschlüssig von einem Bein auf das andere, dann klingelte ich.
    Eine halbe Minute verging. Es klackte im Schloss, und die Tür ging ein paar Millimeter auf, aber nicht weiter. Wieder tat sich eine Weile lang nichts. Ich legte das Ohr an den Spalt.
    »Macht hin, Mädels!«, hörte ich eine heisere Frauenstimme mahnen. »Habt ihr euch endlich versteckt? Hinter den Schirm, hab ich gesagt!«
    Ich klingelte noch einmal.
    »Ja doch!«, rief die Stimme. »Komm rein, es ist offen!«
    Ich trat ein und zog die Tür vorsichtig hinter mir zu.
    Der Raum war ungefähr so groß wie die vorigen, erschien aber größer, weil er eurorenoviert war. (Kein anderer als dieser obskure Begriff passte besser.) Die Wände weiß gestrichen, der Boden mit großen Sandsteinfliesen ausgelegt, kurz: wie eine Moskauer Stadtwohnung für mittleres Einkommen. Nur die Einrichtung sah teurer aus, Designermöbel, dafür wenige: ein rotes Sofa und zwei blaue Sessel. Gegenüber dem
    Altar (zu dem hinzuschauen ich noch nicht über mich brachte) hing ein Flachgroßbildschirm an der Wand. Seitlich stand ein Bambusparavent, den ein französischer Nachthimmel à la van Gogh zierte - also wie eine größere Anzahl umgekippter, lichterloh brennender Kleinwagen in der Bodenlosigkeit des Firmaments. Hinter diesem Schirm wohl war den »Mädels« sich zu verstecken befohlen.
    »Sei gegrüßt!«, sprach eine freundliche Stimme. »Warum wendest du dich ab? Schau mich an, hab keine Angst! ... Ich seh nicht aus wie Xenia Sobtschak, ich seh aus wie Jegor Gaidar mit Titten. Ha, ha, nur ein Scherz ... Ob du vielleicht mal auf schauen würdest?«
    Ich schaute auf.
    Der Altarnische hatte die Eurorenovierung ebenso ihren Stempel aufgedrückt. Selbst das Fledermausfell hatte in Wandnähe weiße Latexstreifen abbekommen.
    Aus der Mitte der Nische lächelte ein weibliches Gesicht -mit Spuren vergangener Schönheit, wie man so sagt. Der Kopf sah aus wie fünfzig, war aber vermutlich weit älter; selbst mir, der ich für solche Dinge kaum ein Auge hatte, fielen die Spuren zahlreicher kosmetischer Prozeduren und Verjüngungsspritzen auf. Nur der Mund lächelte, die Augen, von maskenhafter Haut umgeben, schauten skeptisch und besorgt.
    Der Kopf war extrem aufwendig frisiert: eine Kombination aus »Komm-rauch-ein-Tütchen-mit«-Rastafari-Look und dem kalten

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