Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das fuenfte Imperium

Titel: Das fuenfte Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
Vom Netzwerk:
Köpfe gewesen, die da hingen wie verschrumpelte Monsterkirschen. Sie hypnotisierten mich. Bald schon zweifelte ich, ob sie überhaupt tot waren. »Ich bin ein Vampir, ich bin ein Vampir«, versuchte ich mir einzuflüstern und so meiner Furcht Herr zu werden, »ich bin hier der Furchtbarste weit und breit, keiner ist furchtbarer als ich ...«
    Aber ich fand das selbst nicht sehr überzeugend.
    Mehr und mehr Möbel tauchten in den Räumen auf, Bänke und Truhen vor allem. An den Köpfen hinter den Altären glänzte Schmuck in immer kunstvollerer Ausführung: Ohrringe, Halsketten, goldene Kämme. Einmal auch eine Kette aus kleinen Münzen. Ich blieb stehen, um sie näher zu betrachten. Da geschah es, dass der Kopf mir zunickte.
    Das war mir bis dahin schon ein paarmal so vorgekommen, doch hatte ich es immer für eine Täuschung gehalten, ein Spiel von Licht und Schatten. Diesmal sagte mir das Klingeln der Münzen, dass Licht und Schatten nichts damit zu tun hatten.
    Ich bezwang mich und trat näher zu der Nische hin. Der Kopf zuckte schon wieder, und ich sah, dass die Bewegung aus dem Fell kam, an dem er hing. Und plötzlich begriff ich, was das war: Es war der Hals jener gigantischen Fledermaus drüben im Saal, gesehen durch ein Loch in der Wand.
    In den gnostischen Quellen, so entsann ich mich, war ein löwengesichtiger Drache erwähnt, ein hochgestelltes dämonisches Wesen, Fürst dieser Welt. Hier war es umgekehrt: Die Riesenmaus hatte einen Drachenhals, der wie ein Wurzelstock mit dem Felsen verwachsen schien. Vielleicht waren es auch mehrere Hälse. Jedenfalls war ich um einen solchen herum durch eine in den Felsen gehauene Galerie gelaufen. Dort, wo der Hals blank lag, befanden sich die Altarräume.
    In ihnen gab es viel Sonderbares und Bemerkenswertes zu sehen. Die chronologische Folge war nicht immer eingehalten: Hinter einer Sammlung wertvoller Waffen und Pferdegeschirre, die vermutlich der Goldenen Horde zuzuordnen war, folgte ein Raum mit Reliquien ägyptischen Ursprungs, ich kam mir vor wie in der Grabkammer einer Pyramide (Gebrauchtgötter; ihre Gesichter von vielen Narben verunstaltet). Besonders imponierend ein Raum, der mit Goldplatten ausgekleidet war, die kirchenslawische Inschriften trugen - beim Hindurchgehen hatte ich das Gefühl, in einen Altgläubigentresor geraten zu sein. Ein anderer überraschte mit einem goldenen Pfau, der smaragdene Augen und einen vergammelten Schwanz hatte. (Zwei solcher Pfauen hatten einmal den byzantinischen Thron flankiert - vielleicht war es einer davon.)
    Allmählich verstand ich, wie die chronologischen Sprünge zustande kamen: Viele Räume hatten zwei oder drei Ausgänge, dahinter befanden sich weitere Zimmerfluchten mit Altären, wo jedoch kein Licht war; allein der Gedanke, dort hindurchzuspazieren, machte mir Angst. Die Lampengirlande war anscheinend den kürzesten Weg zum Ziel entlang verlegt.
    Die Altarräume strahlten eine unterschiedliche Stimmung aus. Es gab die düstere, mönchische Variante; andere ließen eher an Boudoir und Adelsfräulein denken. Die Frisuren der Schrumpfköpfe wurden zusehends raffinierter. Perücken kamen vor und Make-up auf der runzligen Gesichtshaut. Auffälligerweise war kein einziger männlicher Kopf darunter.
    Je tiefer ich in die steinerne Galerie vordrang, desto mulmiger wurde mir: Das Ende der Expedition rückte unweigerlich näher, daran ließ der mähliche Kulissenwechsel keinen Zweifel. Längst war mir klar, was mich am Ende der Exposition erwartete: ein lebendiger Kopf, die »wellenlängenproportionale« Antenne, von der Enlil Maratowitsch gesprochen hatte.
    Die Altarräume des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts glichen kleinen Museumssälen: viele Gemälde, Schreibsekretäre vor den Wänden und auf den Altären irgendwelche dicken Folianten mit Goldprägung.
    Der Raum, den ich auf das frühe zwanzigste Jahrhundert datierte, schien mir der eleganteste von allen zu sein: schlicht und geschmackvoll eingerichtet, mit zwei großen Bildern an der Wand, die Fenster zu imitieren schienen; der Blick ging in den Garten, auf blühende Kirschbäume. Die Bilder fügten sich hervorragend in den Raum ein, die Illusion war perfekt -besonders vom Altar her, wo der Kopf hing. Dieser erschien ausdruckslos, nur ein paar aufgefädelte Perlen, die Frisur schlicht. Auf der Altarplatte stand ein zerschossenes weiß emailliertes Telefon, daneben lag ein korallenrotes Pfeifenmundstück. Bei näherem Hinsehen entdeckte ich die

Weitere Kostenlose Bücher