Das fuenfte Imperium
wieso«, protestierte ich. »Ist schon toll ...«
»Wenn es toll wäre, würdest du anders leben. Du würdest jeden Tag so leben, dass ein fröhliches Halloweenfest herauskommt. So wie dein Freund Mitra zum Beispiel. Du dagegen ... Du hast erst vorgestern Nacht wieder über die Seele nachgegrübelt, stimmts?«
»Stimmt«, gab ich zu.
»Seele, was soll das sein?«
»Weiß ich nicht ... Das haben mich meine Leute auch schon gefragt.«
»Und wie kannst du über etwas nachdenken, von dem du nicht weißt, was es ist?«
»Das sehen Sie doch.«
»In der Tat ... Sag bloß, über den Sinn des Lebens denkst du auch manchmal nach?«
»Manchmal schon«, sagte ich verlegen.
»Darüber, wo die Welt herkommt? Und über Gott?«
»Kam vor.«
Ischtar schob die Unterlippe nach vorn, so als wüsste sie nicht, was sie von mir denken soll. Auf ihrer glatten Stirn erschien eine kleine Falte, die sich aber bald wieder glättete.
»Im Grunde kann ich dich verstehen«, sagte sie. »Ich mache mir ja auch so meine Gedanken. Besonders in letzter Zeit ... Aber ich habe wenigstens Anlass dazu. Konkreten Anlass. Und du? Bist doch noch jung und solltest dich des Lebens freuen! Was sollen wir Pensionäre dazu sagen!«
Das war die Art, wie gewisse alte Damen redeten, die unter Stalin geboren waren und immer noch einen Sprengsatz an verordnetem Optimismus in sich trugen, wie er dem Schulkind in die verschreckte Seele eingetrichtert worden war. Früher hatte ich die Brandblasen davon für Spuren eines Feuers aus göttlichem Funken gehalten. Seit dem Verkostungsprogramm war ich klüger.
Ischtar schaute erst auf mein Glas, dann auf mich, zog ein erbostes Gesicht und nickte dabei in Richtung des Paravents, dann kniff sie ein Auge zusammen und setzte ein breites Lächeln auf. Die Pantomime dauerte kaum länger als eine Sekunde - die Grimassen kamen Schlag auf Schlag, es sah aus wie ein nervöser Tick.
Mir war schnell klar, was von mir verlangt war. Ich stand auf, ergriff mein Glas, und wir wiederholten die Prozedur der Luftbetankung. Dabei gab Ischtar keinen Laut von sich, der den hinter dem Schirm Sitzenden verraten hätte, was vor sich ging. Ich nahm wieder Platz. Ischtar zog eine Leidensmiene und stieß lautlos Luft aus.
»Nun ja«, sprach sie dann. »Als Göttin habe ich auf diese Fragen leider auch keine gescheite Antwort. Weil ich mehr so eine Schmalspurgöttin bin. Aber ich gebe dir den Rat, den Vampir Osiris aufzusuchen. Er ist der Hüter der Überlieferung. Sag, dass du von mir kommst. Er kann dir alles erklären.«
»Und wie finde ich ihn?«
»Frag halt irgendwen. Nur Enlil darfst du nicht auf ihn ansprechen. Er ist sein Bruder, und sie sind seit vielen Jahren zerstritten ... Mit mir ist Osiris übrigens auch über Kreuz, wenn man so will.«
»Worüber ging denn der Streit?«
»Gestritten haben wir eigentlich gar nicht. Er hat den Kontakt zu mir abreißen lassen. Er ist Tolstoianer.«
»Tolstoianer?«
»Ja. Weißt du nicht, was das ist?«
»Ehrlich gesagt, nein. Davon höre ich zum ersten Mal.«
»Tolstoianer gibt es unter den Vampiren seit Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Damals war der Weg des Grafen Tolstoi sehr in Mode. Vereinfachung des Lebens. Mitgefühl mit dem Los der einfachen Leute, zurück zur Natürlichkeit und so weiter. Einige von uns wurden mitgerissen und frönten der Einfachheit. Aber was hat Einfachheit bei einem Vampir zu bedeuten? Sie beschlossen, kein Bablos mehr zu saugen, sondern natürliche rote Flüssigkeit. Ohne Schlachtungen, das war man sich als Tolstoianer schuldig ... Von denen sind nicht mehr viele übrig, aber Osiris ist einer davon.«
»Und wie kam er dazu?«
Ischtar verzog das Gesicht.
»Die Drogen haben ihn dazu verführt, wenn du mich fragst. Drogen und allerlei dumme Bücher. Bei ihm kann man sich dusslig reden. Er vernebelt einem das Hirn nicht schlechter als Enlil, nur von der anderen Seite ...«
Sie lachte. Mir schien, der Kognak begann sich bemerkbar zu machen.
»Bablos, was ist das?«, fragte ich.
»Hat Enlil dir nichts darüber erzählt?«
»Angefangen hat er damit. Lebenskraft, die der Mensch in den Äther abstrahlt, sobald er an Geld denkt. Aggregat
M5. Aber er sagte, den Rest bekäme ich ... hier zu hören. Falls man mich für würdig befände.«
»Für würdig befände, ach Gott!«, prustete Ischtar. »Bei ihm ist immer alles doppelt und dreifach versiegelt. Ich hab vor niemandem Geheimnisse. Frag, was du wissen willst.«
»Bablos - was ist das überhaupt für ein
Weitere Kostenlose Bücher