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Das fuenfte Imperium

Titel: Das fuenfte Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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schon rücklings eine abschüssige Rinne aus irgendeinem polierten Material hinab: achtern abwärts und ins Dunkle, wie versprochen. Ich bekam Angst, ich könnte mir unten den Schädel einschlagen, wollte den Kopf mit den Händen schützen, doch da war die Rutsche bereits zu Ende, und ich flog im bodenlosen schwarzen Raum.
    Ein paar Sekunden lang schrie ich, meine Hände suchten krampfhaft Halt. Als sie ihn fanden, merkte ich, dass es keine Hände mehr waren.

DER BAUM DES LEBENS
    Ich segelte so lange durch die Finsternis, dass nicht nur Ruhe einkehrte, sondern bereits Langeweile, und ich fror. Facilis descensus Averni, meinten die alten Römer, der Höllensturz sei sozusagen ein Selbstläufer. Die wussten Bescheid!, dachte ich. Die Kreise, die ich beschrieb, fügten sich zu einer quälend eintönigen Reise - wie der nächtliche Treppenabstieg in einem Hochhaus bei Stromsperre. Die Sohle des Schachtes ließ grausig lange auf sich warten.
    Um mich abzulenken, rief ich mir in Erinnerung, in welchen Zusammenhängen mir ein Baum des Lebens schon begegnet war. Da war zunächst der, an dem der skandinavische Gott Odin hing, während er versuchte, hinter das Geheimnis der Runen zu kommen. Bestimmt hat er kopfunter gehangen, dachte ich mir ... Zweitens im gnostischen Apokryphon des Johannes; davon hatte es bei einer Verkostung zum Thema Regionalkulte einen Ausschnitt gegeben.
    »Und ihre Wonne ist der Betrug«, repetierte ich vor mich hin, »ihre Frucht ist ein unheilbares Gift, und ihr Versprechen ist Tod. Den Baum ihres Lebens hatten sie in die Mitte ihres Paradieses gesetzt... Ich aber werde euch belehren, was das Geheimnis ihres Lebens ist... Des Baumes Wurzel ist bitter, und seine Zweige sind tot, sein Schatten ist Hass ... und Begierde ist sein Samen, und er sprießt in der Finsternis ...«
    Ein Baum, der in der Finsternis sprießt - eine hübsche, makabre Vorstellung. Auch seine Früchte waren der Tod, wenn ich mich recht entsann. Die Anhäufung von Horror in dieser Beschreibung jagte mir keinen sonderlichen Schrecken ein. Der Mensch im Altertum hat sich nun mal vor vielem zu Tode gefürchtet - Dingen auch, die längst Teil unseres Alltags geworden sind.
    Der Schacht weitete sich. Ich überlegte, wie solch eine bizarre geologische Formation wohl entstanden sein konnte. Enlil Maratowitschs Haus stand am Hang - vielleicht war es der Krater eines sehr alten Vulkans? Obwohl: Moskau auf Vulkanen erbaut, was für eine bescheuerte Idee. Vielleicht durch Meteoriteneinschlag? ... Genauso gut konnte der Schacht natürlich künstlich in den Berg getrieben worden sein.
    Endlich witterte ich Grund. Näher auf einmal als erwartet - der Schachtquerschnitt bewirkte eine Verzerrung meines Ortungssignals, da es zwischen den Wänden vielfach hin- und hergeworfen wurde. Unten stand Wasser, ein kleiner runder See. Das Wasser war warm, es dampfte; das schloss ich aus der veränderten Luftdichte. Ich erschrak: Nass zu werden oder gar zu ersaufen lag nicht in meiner Absicht. Tiefer kommend, gewahrte ich jedoch eine dreieckige Mulde in der Wand: Dort, knapp über der Wasserfläche, war der Eingang zu einer Höhle. Ein möglicher Landeplatz.
    Im ersten Anflug ging es schief. Ich streifte mit den Flügeln das Wasser und wäre um ein Haar in den See geplumpst. So musste ich erst wieder an Höhe zulegen, um das Manöver zu wiederholen. Diesmal klappte ich die Flügel zu früh ein; die Landung auf dem Felsvorsprung war hart und schmerzhaft.
    Wie schon beim letzten Mal riss der Aufprall der Fäuste auf dem kalten Stein mich aus dem Traum - und zugleich aus dem Fledermauskörper. Ich stellte mich auf die Füße.
    Das Dunkel um mich her war feuchtwarm, geradezu schwül. Es roch nach Schwefel und noch irgendeinem Mineral, ein bisschen wie in den kaukasischen Heilbädern, wo ich als kleines Kind zur Kur gewesen war. Der Höhlenboden war buckelig, loses Gestein lag umher, es empfahl sich, behutsam seine Schritte zu setzen, mit dem Fuß vorzufühlen. In der Tiefe der Höhle gab es einen Lichtschein, seine Quelle war nicht zu sehen.
    Dort angekommen, bog ich um die Ecke - und traute meinen Augen nicht.
    Vor mir lag ein Hohlraum von gigantischen Ausmaßen, ein unterirdischer Saal in gleißendem Licht. Die Scheinwerfer strahlten so grell, dass sie die Höhle eher verbargen als erleuchteten, der Eintretende war völlig geblendet. Auch die Decke ließ sich kaum ausmachen, so hoch war sie.
    Inmitten der Halle erhob sich eine gewaltige Konstruktion, zu der ein

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