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Das fünfte Kind. Roman

Das fünfte Kind. Roman

Titel: Das fünfte Kind. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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Mühe, humorvoll zu klingen.
    Diese kleine Szene spielte sich beim Frühstück ab, das heißt fast gegen Mittag, denn im Gemeinschaftsraum zog sich das Frühstück meist endlos in die Länge. Alle Erwachsenen, fünfzehn an der Zahl, saßen noch am Küchentisch. Die Kinder spielten auf der anderen Seite des Raums zwischen den Sofas und Sesseln. Molly und Frederick saßen nebeneinander, wie immer darauf bedacht, alles und jedes am Maßstab von Oxford zu messen, weswegen sie von den Übrigen oft geneckt wurden. Das schien ihnen allerdings nichts auszumachen, und sie verteidigten sich mit sanftem Humor. Molly hatte wieder an Davids Vater, ihren ersten Mann, geschrieben: Er müsse mehr Geld »herausrücken«, das junge Paar sei einfach nicht in der Lage, Hinz und Kunz mit durchzufüttern. James hatte einen großzügigen Scheck geschickt und war dann selbst gekommen. Jetzt saß er seiner früheren Frau und deren Mann gegenüber, und wie jedes Mal musterten sie einander verstohlen und wunderten sich, wie sie je hatten zueinanderfinden können. James sah aus, als hätte er sich gerade für ein sportliches Unternehmen gerüstet, und in der Tat war er auf dem Weg in den Skiurlaub. Deborah saß da wie ein exotischer Vogel, der sich verflogen hatte, und ließ sich nur von einer gewissen Neugier in diesem Kreis halten – Bewunderung hätte sie nie zugegeben. Dorothy schenkte Tee und Kaffee nach. Harriets Schwester Angela saß bei ihrem Mann, ihre drei Kinder spielten mit den anderen. Angela, tüchtig, resolut, »ein Tatmensch«, wie Dorothy sagte, wobei sie das »Gott sei Dank« unausgesprochen ließ, beklagte sich, dass ihre beiden Schwestern ihre Mutter völlig in Anspruch nahmen und nichts von ihr für sie, Angela, übrig ließen. Sie ähnelte einem gescheiten, hübschen kleinen Fuchs. Sarah, ihr Mann William, Vettern, Cousinen, Freunde – jeder Winkel des großen Hauses war belegt, sie übernachteten sogar auf den Sofas hier unten. Der Dachboden war schon längst in einen Schlafsaal mit Matratzen und Schlafsäcken verwandelt worden und konnte jede Menge Kinder beherbergen. Im großen Wohnraum war es behaglich warm vom Feuer, das im Kamin prasselte; gestern hatten sie den Wald durchstreift und Holz gesammelt. Aus den oberen Zimmern ertönten Stimmen und Musik, einige der größeren Kinder studierten wohl ein Lied ein. In diesem Haus – und das zeichnete es für alle aus, die bewunderten, was sie selbst nicht erreichten – wurde fast nie das Fernsehen angestellt.
    Sarahs Mann William saß nicht mit am Tisch, sondern lehnte halb sitzend an der niedrigen Trennmauer, und schon diese geringe Distanz drückte seine innere Beziehung zur übrigen Familie aus. Er hatte Sarah zweimal verlassen und war zweimal wiedergekommen. Jedem war klar, dass es immer so weitergehen würde. Inzwischen hatte er einen Job im Baugewerbe gefunden, einen schlecht bezahlten, aber was ihm am meisten zu schaffen machte, war sein Widerwille gegen körperliche Missbildungen, und seine letztgeborene, unter dem Down-Syndrom leidende Tochter ekelte ihn an. Dennoch hatte seine Ehe mit Sarah tiefe Wurzeln. Sie waren ein schönes Paar, beide groß, dunkel wie zwei Zigeuner und immer in südliche Farben gekleidet. Aber nun war da das arme Baby in Sarahs Arm, soweit wie möglich verhüllt, damit es niemanden störte, und Williams Blicke wanderten überallhin, nur nicht zu seiner Frau.
    Stattdessen sah er Harriet zu, die eben den kleinen Paul stillte, der zwei Monate alt war. Sie saß in dem großen Armlehnsessel, der, weil für diese mütterliche Aufgabe am besten geeignet, für sie reserviert war. Ihr Gesicht war abgespannt; Jane zahnte und hatte die halbe Nacht hindurch gequengelt und nach »Mami« verlangt, nicht nach Großmutter Dorothy.
    Harriet hatte sich dadurch, dass sie der Welt vier neue Menschenkinder geschenkt hatte, nicht sehr verändert. Da saß sie nun am Kopfende des Tischs und hatte ihre blaue Hemdbluse so weit aufgeknöpft, dass man einen Teil ihrer blau geäderten weißen Brust und Pauls energisch ruckendes Köpfchen sah. Ihre Lippen waren auf die ihr eigene Art fest geschlossen, und sie hatte die Augen überall, eine gesunde, vitale, attraktive junge Frau. Nur müde … Die Kinder kamen immer wieder angerannt und wollten etwas von ihr, bis sie sie plötzlich gereizt anfuhr: »Nun geht doch endlich und spielt oben auf dem Dachboden!« Das sah ihr so wenig ähnlich, dass die Erwachsenen abermals Blicke tauschten und sich beeilten, ihr die

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