Das fünfte Kind. Roman
sagte nichts. Er verkniff sich diesmal sogar einen ironischen Blick.
»Wir haben noch fünf bis sechs Jahre«, sagte Harriet, wieder in ziemlich gereiztem Ton, »bis wir uns den Kopf wegen Lukes und Helens weiterer Ausbildung zerbrechen müssen.«
»Meinst du?«, fragte Molly spitz. »Wir haben David gleich nach seiner Geburt an den entsprechenden Schulen angemeldet. Und Deborah auch.«
»Na und?«, fragte Deborah. »Bin ich wegen meiner feinen Erziehung was Besseres als Harriet? Oder sonst wer hier?«
»Ein vernünftiger Standpunkt«, sagte James, der die piekfeine Erziehung bezahlt hatte.
»Finde ich nicht«, beharrte Molly.
William seufzte übertrieben auf. »Wir armen, armen Bettelkinder! Armer William. Arme Sarah. Arme Harriet. Arme Bridget. Sag mal, Molly, würde ich wohl wieder einen anständigen Job kriegen, wenn ich auf so einer vornehmen Schule gewesen wäre?«
»Davon war nicht die Rede«, sagte Molly.
»Sie meint«, warf Sarah ein, »dass du als Arbeitsloser oder mit deinem miesen Job glücklicher wärst, wenn du wenigstens eine gute Erziehung genossen hättest.«
»Tut mir leid«, sagte Molly. »Die staatlichen Schulen sind furchtbar, und sie werden immer schlechter. Harriet und David haben vier Kinder zu erziehen. Und offenbar sollen noch ein paar hinzukommen. Woher wisst ihr, ob James euch auch in Zukunft helfen kann? In dieser Welt kann alles Mögliche passieren.«
»Das tut es schon immer«, sagte William bitter, lachte aber besänftigend dabei.
Harriet rutschte unbehaglich in ihrem Sessel herum, nahm Paul von der Brust, wobei sie sich mit einer Geschicklichkeit bedeckt hielt, die allen Zuschauern Bewunderung abrang, und sagte: »Können wir dieses Gespräch nicht beenden? Es ist ein so schöner Morgen …«
»Natürlich helfe ich euch weiter, in den Grenzen des Möglichen«, sagte James.
»Oh, James …«, sagte Harriet, »danke … danke … Wie lieb von dir … Übrigens, wie wär’s mit einem kleinen Ausflug? Wir könnten ein Picknick im Wald veranstalten.«
Der Vormittag war zerronnen. Es war Mittag. Die Sonne schien durch die Vorhänge, verwandelte ihr Rot in ein intensives Orange, warf schimmernde Rhomben auf den Tisch und zauberte Glanzlichter auf die herumstehenden Tassen, Teller und die Obstschale. Die Kinder waren wieder vom Boden heruntergekommen und spielten jetzt im Garten. Einige der Erwachsenen sahen ihnen von den Fenstern aus zu. Der Garten war immer noch ungepflegt, es blieb einfach keine Zeit für ihn. Der Rasen hatte einige kahle Stellen, und überall lag Spielzeug herum. Die Vögel saßen im Gebüsch, zwitscherten und sangen und ließen sich von den Kindern nicht stören. Die kleine Jane strampelte sich von Dorothys Schoß herunter und lief mit ungelenken Kinderschritten hinaus zu den anderen, die lärmend herumtobten, aber sie war mit ihren zwei Jahren noch zu klein, um das Spiel richtig zu begreifen. Einige der Größeren nahmen sich ihrer an und richteten ihr Spiel geschickt auf sie aus. Vor einer Woche, am Ostersonntag, hatten die Eltern überall bunte Eier versteckt. Welch ein Fest, als die Kinder von allen Seiten die magischen Eier herbeibrachten, die Harriet, Dorothy und Bridget, das Schulmädchen, die halbe Nacht hindurch bemalt hatten.
Harriet hatte das Baby auf dem Arm und stand zusammen mit David am Fenster. Er legte ihr den Arm um die Schultern. Sie wechselten einen raschen Blick, halb beschämt, weil sie ihr Lächeln nicht unterdrücken konnten, obwohl sie wussten, dass sie die anderen damit vermutlich reizten.
»Ihr zwei seid unverbesserlich«, sagte William. »Hoffnungslose Fälle«, fügte er, zu den anderen gewendet, hinzu. »Na ja, wer könnte sich beklagen? Ich nicht. Wie ist das jetzt mit unserem Picknick?«
Die Gesellschaft füllte fünf Autos; die Kinder quetschten sich zwischen die Erwachsenen oder wurden auf den Schoß genommen.
Der Sommer verlief wie gewohnt, zwei Monate lang kam die Familie und ging und kam wieder. Das Schulmädchen war immer mit von der Partie, die arme Bridget, sie klammerte sich förmlich an dieses Wunder von einer Familie. Dasselbe taten im Grunde auch Harriet und David. Mehr als einmal sahen sie ihr eigenes Wesen im Gesicht des Mädchens widergespiegelt, das so viel Ehrerbietung, fast Ehrfurcht und ständige Wachsamkeit ausdrückte, als ob sie Angst hätte, einen Moment der Erleuchtung oder der Gnade zu verpassen, falls ihre Aufmerksamkeit einmal nachlassen sollte. Es war schon fast peinlich. Es war zu viel,
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