Das fünfte Kind. Roman
lauten Kinder vom Leib zu halten. Schließlich brachte Angela sie die Treppe hinauf.
Harriet schämte sich sofort ihrer schlechten Laune. »Ich war die ganze Nacht auf den Beinen«, fing sie an, wurde aber von William unterbrochen, der, wie Harriet sehr wohl fühlte, das Wort stellvertretend für alle ergriff – auch wenn sie sich wunderte, warum gerade William, der unzulängliche Gatte und Vater.
»Da siehst du selbst, was dabei herauskommt, Schwägerin Harriet«, verkündete er, indem er sich vorbeugte und die Hand hob wie ein Dirigent. »Wie alt bist du? Nein, sag nichts, ich weiß es ja. Und du hast in sechs Jahren vier Kinder geboren …« Er vergewisserte sich mit einem raschen Blick in die Runde, dass alle auf seiner Seite waren. Harriet spürte ihre Zustimmung. Sie lächelte ironisch. »Eine Kriminelle«, sagte sie, »ja, genau das bin ich.«
»Mach mal Pause, Harriet. Das ist alles, was wir von dir verlangen«, fuhr er fort, immer mehr in den Schauspielerton verfallend, der ihm eigen war.
»Hört, hört! Der Vater von vier Kindern spricht«, sagte Sarah und drückte ihre arme kleine Amy leidenschaftlich an sich, womit sie die anderen hinderte, ihre Gedanken laut auszusprechen: Sarah überschlug sich wieder mal, um ihrem ungeratenen Mann beizustehen!
Er warf ihr einen dankbaren Blick zu, doch seine Augen mieden das mitleiderregende Bündel in ihren Armen. »Ja, aber wir haben sie wenigstens über zehn Jahre verteilt«, sagte er.
»Wir werden eine Pause machen«, versicherte Harriet und fügte trotzig hinzu: »Mindestens drei Jahre!«
Wieder wurden Blicke gewechselt. Harriet las ihr Verdammungsurteil darin.
»Ich hab es ja gewusst«, sagte William, »diese armen Irren machen weiter.«
»Das haben diese Irren allerdings vor«, sagte David.
»Ich habe es euch doch gesagt«, sagte Dorothy. »Wenn Harriet sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hat, kann man sich jedes weitere Wort sparen.«
»Das hat sie von ihrer Mutter«, murmelte Sarah bitter, was sich auf Dorothys Behauptung bezog, Harriet brauche sie jetzt mehr als sie, Sarah, ungeachtet des schwerbehinderten Kindes.
»Du hältst viel mehr aus, Sarah«, hatte Dorothy betont. »Das Schlimme an Harriet ist, dass ihre Augen schon immer größer waren als ihr Magen.«
Jetzt saß Dorothy bei Harriet. Die kleine Jane, von der langen, bösen Nacht ermattet, döste auf ihrem Schoß. Dorothy saß aufrecht da, mit fester Miene, auch sie presste die Lippen aufeinander, und ihren Augen entging nichts.
»Und was spricht dagegen?«, fragte Harriet. Sie lächelte ihre Mutter an: »Was könnte ich Besseres tun?«
»Die beiden planen nur noch vier weitere Kinder«, verkündete Dorothy den anderen.
»Großer Gott«, sagte James ehrfürchtig, »ein Glück, dass ich so gut verdiene.«
David hörte dies nicht gern. Er wurde rot und blickte beiseite.
»Ach, stell dich doch nicht so an, David«, sagte Sarah und versuchte, nicht bitter zu klingen. Sie selbst brauchte Geld, und zwar dringend, aber es war David, der, obwohl er doch eine gute Stellung hatte, so oft zusätzlich etwas bekam. »Das mit den vier weiteren Kindern, das ist doch wohl nicht euer Ernst?«, forschte sie dann seufzend, und jeder verstand, was sie damit meinte: vier weitere Herausforderungen an das Schicksal. Sie legte sanft die Hand über den Kopf ihres schlafenden Babys und hüllte es noch mehr ein, so, als müsste sie es vor der Welt schützen.
»Doch«, sagte David.
»Natürlich ist es unser Ernst«, pflichtete Harriet ihm bei. »Im Grunde wünscht sich das doch jeder Mensch, aber man hat es uns ausgeredet. Gehirnwäsche. In Wahrheit würden alle gern so leben wie wir.«
»Als glückliche Familie«, sagte Molly leicht ironisch. Sie trat von jeher dafür ein, alles an seinen Platz zu verweisen. Für sie war Häuslichkeit nur der Hintergrund für Wichtigeres.
»In dieser Familie sind wir der Mittelpunkt, Harriet und ich«, sagte David. »Nicht du, Mutter.«
»Gott behüte«, sagte Molly, und ihr breitflächiges Gesicht, das immer rot war, nahm vorübergehend Purpurfarbe an. Sie war gekränkt.
»Oh, schon gut«, sagte ihr Sohn. »Das hier war ja nie dein Stil.«
»Und meiner schon gar nicht«, sagte James, »aber ich sehe keinen Grund, mich dafür zu entschuldigen.«
»Warum auch«, schmeichelte Deborah, »du warst immer ein Supervater. Und Jessica eine Supermutter.«
Ihre leibliche Mutter hob bedeutsam die Brauen.
»Soweit ich mich erinnere, hast du deiner Mutter kaum je eine Chance
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