Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das fünfte Kind. Roman

Das fünfte Kind. Roman

Titel: Das fünfte Kind. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
Vom Netzwerk:
vernünftig, und alles wird leichter.«
    Das Leben war leichter geworden … Aber das war nur ihre Sicht der Dinge, wie Dorothy ihr nach ihrer Rückkehr erklärte.
    Dorothy kam zurück, nachdem sie ein paar Wochen »Urlaub« genommen hatte, wie sie es nannte, und Harriet erkannte sehr bald, dass ihre Mutter sich auf eine »richtige Aussprache« mit ihr vorbereitete.
    »So, mein Kind, würdest du sagen, dass ich mich zu sehr in eure Angelegenheiten einmische? Dass ich dir einen Haufen ungebetener Ratschläge gebe?«
    Es war ein Vormittag, und die beiden Frauen saßen bei einer Tasse Kaffee am großen Küchentisch. Ben trieb sich beobachtend in ihrer Nähe herum, wie immer. Dorothy versuchte in humorvollem Ton zu sprechen, aber Harriet fühlte sich bedroht. Die biederen Apfelbäckchen ihrer Mutter waren hochrot vor Verlegenheit, und ihre blauen Augen blickten besorgt drein.
    »Nein«, sagte Harriet. »Das tust du nie.«
    »Nun, dann will ich dir mal meine Meinung sagen.«
    Aber schon musste sie innehalten: Ben fing an, mit einem Stein auf ein Backblech zu schlagen, und zwar aus Leibeskräften. Der Lärm war grauenhaft, aber die beiden Frauen warteten, bis er von selbst aufhörte: Er hätte getobt und gespuckt, wenn sie ihn unterbrochen hätten.
    »Du hast fünf Kinder«, sagte Dorothy, »nicht nur das eine. Ist dir je klar geworden, dass ich Mutterstelle an den vier anderen vertrete, wenn ich hier bin? Ich glaube, nein; denn du widmest dich fast nur noch …«
    Wieder schlug Ben auf das Blech ein, in einer Art triumphaler Raserei. Er schien zu glauben, dass er etwas schmiedete. Man konnte ihn sich leicht in irgendeiner Erzgrube tief unter der Erde vorstellen, wo er mit seinesgleichen werkte … Und wieder warteten sie, bis der Krach aufhörte.
    »Es ist nicht recht«, sagte Dorothy.
    Und Harriet erinnerte sich, wie die ständige Rede ihrer Mutter, »Das ist nicht recht!«, ihre Kindheit bestimmt hatte.
    »Ich werde auch nicht jünger«, fuhr Dorothy fort. »Wenn ich das noch lange mitmache, werde ich krank.«
    Ja, Dorothy war abgemagert, geradezu knochig. Harriet dachte, schuldbewusst wie immer, dass sie das schon längst hätte merken müssen.
    »Und dein Mann ist auch noch da.« Dorothy schien nicht zu wissen, wie tief sie damit in das Herz ihrer Tochter traf. »David ist ein guter Mensch, Harriet. Ich staune immer, dass er sich so damit abfindet.«
    Weihnachten nach Bens drittem Geburtstag kam nur noch ein Teil der sonstigen Gäste. Eine Cousine Davids hatte gesagt: »Ich hab mich von dir inspirieren lassen, Harriet! Schließlich haben wir auch ein Haus. Es ist nicht so groß wie eures, aber recht hübsch und gemütlich.« Mehrere Familienmitglieder fuhren dorthin. Andere sagten jedoch ihr Kommen zu, demonstrativ, wie Harriet sehr wohl erriet. Das waren die nächsten Verwandten.
    Wieder wurde ein Tier mitgebracht. Diesmal war es ein großer Hund, ein spielfreudiger Mischling. Er war der beste Freund von Sarahs Kindern, besonders von Amy. Natürlich waren alle Kinder vernarrt in ihn, am allermeisten Paul, und das tat Harriet in der Seele weh, weil sie sich selber keinen Hund oder keine Katze mehr halten konnten. Sie dachte sogar: »Vielleicht doch, Ben ist ja inzwischen vernünftiger geworden …« Aber sie wusste, dass es unmöglich war. Sie sah gerührt, wie der große Hund zu wissen schien, dass Amy, das liebe kleine Mädchen mit dem hässlichen, unbeholfenen Körper, besonderer Behutsamkeit bedurfte. In Amys Gegenwart mäßigte er seine Spiellust. Oft saß Amy da und umarmte den Hund, und wenn sie dabei zu plump mit ihm umging, schob er sie mit der Schnauze ganz sanft ein wenig weg, oder er gab einen kurzen Warnlaut von sich, der deutlich sagte: »Vorsicht, bitte.« Sarah sagte, der Hund sei für Amy wie ein Kindermädchen. »Wie die Nana in
Peter Pan
«, sagten die Kinder. Nur wenn Ben ins Zimmer kam, zog sich der Hund in eine Ecke zurück und legte den Kopf auf die Pfoten, steif vor Wachsamkeit. Eines Morgens, als fast alle noch beim Frühstück saßen, wendete Harriet aus irgendeinem Grund den Kopf und sah, dass der Hund schlief und Ben sich ihm leise und geduckt näherte, beide Hände ausgestreckt …
    »Ben!«, sagte sie scharf. Die kalten gelbgrünen Augen richteten sich auf sie, und sie entdeckte darin ein bösartiges Glimmen.
    Der Hund war erwacht und fuhr in die Höhe. Sein Nackenfell sträubte sich. Er winselte angstvoll, kam dahin, wo alle saßen, und kroch unter den Tisch.
    Alle hatten das mit

Weitere Kostenlose Bücher