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Das fünfte Kind. Roman

Das fünfte Kind. Roman

Titel: Das fünfte Kind. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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angesehen und saßen stumm da, während Ben, als wäre nichts geschehen, zu Dorothy ging und sagte: »Ich will Milch.« Sie goss ihm einen Becher voll ein, und er trank ihn aus. Dann erst sah er, wie alle ihn anstarrten. Wieder einmal schien er zu versuchen, sie zu verstehen. Dann ging er in den Garten, und sie konnten durch das Fenster sehen, wie er, einem stämmigen kleinen Gnom ähnlich, mit einem Stock in der Erde herumstocherte. Die anderen Kinder waren irgendwo oben.
    Um den Tisch herum saßen Dorothy, die Amy auf dem Schoß hatte, Sarah, Molly, Frederick, James und David. Und Angela, Harriets erfolgreiche Schwester, die »Tüchtige«, deren Kinder alle normal waren.
    Die Atmosphäre war so gespannt, dass Harriet trotzig sagte: »Also gut, halten wir einen Familienrat.«
    Ihrer Ansicht nach war es ziemlich bezeichnend, dass Frederick, Davids Stiefvater, als Erster das Wort ergriff. »Du wirst der Sache ins Gesicht sehen müssen, Harriet. Der Junge gehört in eine Anstalt.«
    »Dazu brauchen wir einen Arzt, der sagt, dass er nicht normal ist«, sagte Harriet. »Doktor Brett wird das sicherlich nicht tun.«
    »Dann geh eben zu einem anderen Arzt«, sagte Molly. »Solche Dinge lassen sich arrangieren.«
    Dieses dickliche, leicht schlampig gekleidete Paar mit den roten, wohlgenährten Gesichtern war sich einig. Es gab nicht den leisesten Zweifel, nun, da sie entschieden hatten, dass es sich um eine Krise handelte, die sie ebenfalls bedrohte. »Da sitzen sie wie zwei grauhaarige Richter nach einem guten Essen«, dachte Harriet mit einem Seitenblick auf David, um zu sehen, ob er ihre Gedanken teilte. Er starrte jedoch mit verbissener Miene vor sich auf den Tisch. Er stimmte ihnen zu.
    »Die typische Unbarmherzigkeit der Oberklasse«, sagte Angela lachend.
    Niemand konnte sich erinnern, dass dieser Ton je zuvor an diesem Tisch angeschlagen worden wäre, zumindest nicht so unverblümt. In das allgemeine Schweigen hinein sagte Angela abmildernd: »Nicht, dass ich anderer Meinung wäre.«
    »Selbstverständlich«, sagte Molly. »Jeder denkende Mensch muss uns zustimmen.«
    »Es war nur die Art, wie ihr es ausgesprochen habt«, sagte Angela.
    »Was macht es aus, wie man es sagt?«, fragte Frederick.
    »Und wer soll das bezahlen?«, fragte David. »Ich kann es nicht. Es fällt mir schon schwer genug, die laufenden Rechnungen zu bezahlen, und auch das nur mit James’ Hilfe.«
    »Nun, James wird auch diesmal die Hauptlast tragen müssen«, sagte Frederick, »aber wir werden euch notfalls unter die Arme greifen.« Es war das erste Mal, dass die beiden finanzielle Hilfe anboten. »Knickrig wie all diese Gelehrten«, hatte der Rest der Familie immer gefunden, und dieses Urteil änderte sich auch jetzt kaum. In Zukunft würden Molly und Frederick ein paar Fasane mitbringen, wenn sie auf zehn Tage Logierbesuch kamen, oder einige Flaschen sehr guten Wein. Ihre »Zuschüsse« würden nicht sehr ins Gewicht fallen, das wusste jeder.
    Die Familie saß schweigend und voll innerer Vorbehalte da. Endlich sagte James: »Natürlich tu ich, was ich kann. Aber die Geschäftslage ist nicht mehr so gut wie früher. Jachten sind in diesen schweren Zeiten nicht jedermanns Sache.«
    Wieder Schweigen. Aller Blicke richteten sich auf Harriet.
    »Ihr macht mir Spaß«, sagte sie und rückte mit ihrem Stuhl vom Tisch ab. »Ihr wart alle oft genug hier, um Bescheid zu wissen, ich meine,
ihr wisst
wahrhaftig, wo das Problem liegt. Was sollen wir den Leuten in so einer Anstalt sagen?«
    »Das hängt von der Anstalt ab«, sagte Molly, und ihre ganze stattliche Person bestand aus Überzeugung und Energie: Als hätte sie Ben mit Haut und Haaren verschluckt und verdaute ihn gerade, dachte Harriet. Sie sagte, sanftmütig genug, obwohl sie zitterte: »Du meinst, wir sollen uns eins dieser sogenannten Heime suchen, die nur für Leute existieren, die einfach ihre Kinder abschieben wollen?«
    »Für
reiche
Leute«, warf Angela mit spöttischem Naserümpfen ein.
    Molly ließ diese Impertinenz nicht gelten und sagte mit fester Stimme: »Jawohl. Wenn es keinen anderen Ausweg gibt. Eines ist jedenfalls klar: Wenn hier nichts unternommen wird, gibt es eine Katastrophe.«
    »Es
ist
schon eine«, sagte Dorothy, die nun deutlich Stellung bezog. »Die anderen Kinder … Sie leiden unter der Situation. Du steckst so mittendrin, Harriet, dass du es nicht mehr siehst.«
    »Ja«, sagte David, ungeduldig und zornig, weil er es nicht mehr ertrug, zwischen Harriet und seinen

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