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Das fünfte Kind. Roman

Das fünfte Kind. Roman

Titel: Das fünfte Kind. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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Familienleben zu erziehen. Dabei wusste sie, dass die anderen sich im Stich gelassen fühlten. Sie glaubten, Harriet hätte ihnen allen den Rücken gekehrt, um allein mit Ben in ein fremdes Land zu gehen.
    In dieser Nacht verschloss und verriegelte sie seine Tür, verzichtete aber auf die Spritze und hoffte, er würde auch so schlafen. Ein paar Stunden lang ging alles gut, aber dann wachte er schreiend vor Angst auf. Harriet öffnete die Tür und fand Ben an die Wand gedrückt, sich einen Arm quer vor das Gesicht haltend, unfähig, ihr zuzuhören, doch sie redete und redete, gebrauchte tröstliche und vernünftige Worte gegen diesen Anfall panischen Schreckens. Endlich wurde er ruhig, und sie gab ihm zu essen. Er konnte nicht genug bekommen; offenbar war er in der Anstalt völlig ausgehungert. Sie hatten ihn ständig unter Drogen halten müssen, und wenn er betäubt war, konnte er nichts essen.
    Endlich satt, hockte er wieder auf dem Bett, an die Wand gekauert, und sah angstvoll zur Tür, durch die seine Kerkermeister gleich kommen mussten: Er hatte noch nicht wirklich begriffen, dass er zu Hause war.
    Dann nickte er ein … fuhr mit einem Schrei wieder hoch … schlief ein … erwachte … Harriet blieb bei ihm, bis er richtig schlief.
    Tage vergingen, Nächte vergingen.
    Ben verstand endlich, dass er zu Hause und in Sicherheit war. Allmählich hörte er auf, das Essen in sich hineinzuschlingen, als ob jeder Bissen sein letzter wäre. Allmählich gewöhnte er sich wieder an seinen Nachttopf, oder er ließ sich an der Hand zur Toilette führen. Eines Tages kam er zum ersten Mal herunter und schoss förmlich mit misstrauischen Blicken um sich, um den Feind zu erkennen, bevor der ihn wieder gefangen nehmen konnte. In diesem Haus war ihm, und das war ihm nur zu bewusst, schon einmal eine Falle gestellt worden. Und zwar von seinem Vater. Als er ihn sah, wich er zurück und fauchte.
    David tat nichts, um ihn zu beschwichtigen. Soweit es ihn anging, hatte Harriet die volle Verantwortung für Ben übernommen und er die für die Kinder, seine wirklichen Kinder.
    Ben nahm seinen alten Platz am Familientisch wieder ein. Er ließ kein Auge von seinem Vater, dem Verräter.
    Helen sagte: »Hallo, Ben!«
    Dann auch Luke: »Hallo, Ben.«
    Dann Jane. Nur Paul sagte nichts. Ihm war jämmerlich zumute, seit es Ben wieder gab, und so sonderte er sich von den Übrigen ab, ließ sich in einen Sessel vor dem Fernseher fallen und tat so, als verfolgte er das Geschehen auf der Mattscheibe.
    Endlich sagte Ben auch: »Hallo.« Seine Augen wanderten von einem Gesicht zum anderen: Freund oder Feind?
    Während er aß, beobachtete er sie unablässig. Als sie sich alle vor den Fernseher setzten, tat er es ebenfalls. Sicherheitshalber machte er ihnen alles nach und schaute nur auf den Bildschirm, weil sie es genauso machten.
    Und so kehrte alles zur Normalität zurück, falls man das Wort hier anwenden konnte.
    Aber Ben traute seinem Vater nicht mehr, er traute ihm nie wieder. David konnte nicht in seine Nähe kommen, ohne dass Ben erstarrte, zurückwich oder, wenn David zu nahe kam, leise knurrte.
    Als Harriet von Bens Genesung überzeugt war, machte sie sich daran, einen Plan zu verwirklichen, der sie schon einige Zeit beschäftigte. Der Garten war über den letzten Sommer gänzlich verwahrlost, und sie heuerte einen Jugendlichen namens John an, um ihn wieder in Ordnung bringen zu lassen. John war arbeitslos und hielt sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser.
    Einige Tage lang beschnitt er die Hecken, grub verkümmerte Sträucher aus, sägte tote Äste von den Bäumen und mähte den Rasen. Ben hing an ihm wie eine Klette. Morgens lauerte er an der Verandatür auf Johns Ankunft, und dann folgte er ihm auf Schritt und Tritt wie ein junger Hund. John störte das überhaupt nicht. Er war ein großer, etwas zotteliger, netter Junge, gutmütig und geduldig, der Ben auf eine raubeinige, kameradschaftliche Art behandelte, so als wäre er tatsächlich ein Welpe, der noch erzogen werden musste. »Nun setz dich mal artig hin und warte, bis ich fertig bin.« – »Halt mir mal die Heckenschere, ja, so ist es recht.« – »Nein, ich gehe jetzt nach Hause. Bis ans Tor darfst du mitkommen.«
    Manchmal flennte und quengelte Ben, wenn John ihn verließ.
    Nach einer Weile ging Harriet in ein bestimmtes Lokal, in »Betty’s Caff«, wo John, wie sie wusste, gern herumhing, und traf ihn dort auch wirklich im Kreis seiner Kumpel an. Es war eine Bande von etwa

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