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Das fünfte Kind. Roman

Das fünfte Kind. Roman

Titel: Das fünfte Kind. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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bester Ordnung?« Er grinste sie höhnisch an, aber nur, weil ihm das Weinen wie ein Kloß in der Kehle saß.
    Nun sahen sie sich lang und fest in die Augen, und nichts blieb ihnen voneinander verborgen. »Meinetwegen«, dachte Harriet, »er hatte recht, und ich hatte unrecht. Aber nun ist es geschehen.«
    »Aber jetzt ist es nun einmal geschehen«, sagte sie laut.
    »Das ist das rechte Wort dafür.«
    Sie setzte sich zu den Kindern aufs Sofa und sah, dass sie alle verweinte Gesichter hatten. Sie wagte nicht, sie tröstend zu umarmen, denn sie war es ja, die sie so zum Weinen brachte.
    Als sie endlich sagte: »Zeit zum Schlafengehen«, standen alle sofort auf und gingen nach oben.
    Sie nahm einen Vorrat an passenden Nahrungsmitteln für Ben mit ins Eheschlafzimmer. David war mit seinen Sachen in einen anderen Raum umgezogen.
    Als Ben gegen Morgen aufwachte und zu brüllen begann, fütterte sie ihn und gab ihm eine Spritze.
    Dann machte sie den Kindern Frühstück wie immer und versuchte, möglichst normal zu sein. Die Kinder versuchten es ebenfalls. Ben wurde nicht erwähnt.
    Als David herunterkam, sagte sie: »Bitte bring sie zur Schule.«
    Dann war sie mit Ben allein im Haus. Als er wieder wach wurde, fütterte sie ihn abermals, ließ jedoch die Spritze weg. Er schrie und tobte, aber, wie sie fand, schon viel weniger heftig.
    In einer Pause, als er sich offenbar müde geschrien hatte, sagte sie eindringlich: »Ben, du bist zu Hause. Nicht mehr dort.«
    Er schien ihr zuzuhören.
    »Und wenn du aufhörst, so viel Lärm zu machen, nehme ich dich aus dem scheußlichen Ding, das sie dir umgebunden haben.«
    Es war wohl zu früh; er fing wieder an, sich zu wehren. Durch sein Geschrei hindurch hörte Harriet Erwachsenenstimmen und ging ans Treppengeländer. David war auch heute nicht ins Büro gefahren, sondern zurückgekommen, um ihr zu helfen. Zwei junge Polizisten standen in der Haustür, und David sprach mit ihnen. Sie gingen wieder.
    Was mochte er ihnen gesagt haben? Harriet fragte nicht.
    Um die Nachmittagszeit, als David die Kinder abholte, sagte sie zu Ben: »Jetzt wirst du Ruhe geben, Ben. Deine Geschwister kommen nach Hause, und du erschreckst sie, wenn du dauernd so schreist.«
    Er war ruhig, vor Erschöpfung.
    Er lag auf dem Boden, der mittlerweile mit Exkrementen verschmiert war. Harriet brachte ihn ins Badezimmer, zog ihm die Zwangsjacke aus, legte ihn in die Wanne, seifte ihn ein und duschte ihn gründlich ab. Sie sah, dass er vor Entsetzen am ganzen Körper bebte. Vermutlich war er nicht immer bewusstlos gewesen, wenn man ihn in der Anstalt gesäubert hatte. Harriet trocknete ihn behutsam ab, trug ihn in sein Bett zurück und sagte: »Wenn du jetzt von vorn anfängst, muss ich dir das Ding wieder umbinden.«
    Er knirschte mit den Zähnen, seine Augen flammten. Aber er hatte auch Angst. Mithilfe ebendieser Angst würde sie ihn unter Kontrolle halten müssen.
    Während sie sein Zimmer reinigte und aufräumte, lag er still da und bewegte seine Arme, als hätte er vergessen, wie man das macht. In der Anstalt hatte man ihn wahrscheinlich vom ersten Moment an in der Zwangsjacke gehalten.
    Dann hockte er sich im Schneidersitz hin, ruderte weiter mit den Armen und sah sich um. Endlich schien er sein eigenes Zimmer und seine Mutter zu erkennen. Er sagte: »Mach die Tür auf.«
    »Erst wenn ich sicher bin, dass du dich gut benimmst«, erwiderte sie.
    Er öffnete den Mund zum Brüllen, aber sie fuhr ihn unvermutet an: »Ben, ich meine es ernst! Sobald du brüllst, binde ich dich wieder fest.«
    Er nahm sich zusammen. Harriet brachte ihm ein paar belegte Brote, und er stopfte sie sich mit beiden Händen in den Mund und würgte sie hinunter.
    Er hatte all die einfachen Umgangsformen, die sie ihm so mühsam beigebracht hatte, wieder verlernt.
    Sie sprach ruhig und deutlich auf ihn ein, während er aß. »Nun hör mir gut zu, Ben. Du musst mir zuhören. Alles wird wieder gut, wenn du dich ordentlich benimmst. Du musst anständig essen. Geh auf den Topf oder zur Toilette, wenn du musst. Und hör mit dem Geschrei und Gezappel auf.« Sie wusste nicht genau, ob er zuhörte. Daher wiederholte sie alles, Satz für Satz. Sie ließ nicht locker.
    An diesem Abend blieb sie bei Ben und bekam die anderen Kinder gar nicht zu Gesicht. David ließ sie allein und ging zum Schlafen wieder in ein anderes Zimmer. Ihrem Gefühl nach war es so, dass sie alle für einige Zeit von Ben abschirmte, um ihn ungestört zur Rückkehr ins

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