Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das fünfte Kind. Roman

Das fünfte Kind. Roman

Titel: Das fünfte Kind. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
Vom Netzwerk:
Vater mit einem stolzen Blick zuvor und sagte, er werde für alles zahlen.
    »Es wird wohl langsam Zeit, dass ihr dieses Haus verkauft«, sagte Molly mit einem Unterton, der für ihre selbstsüchtige Schwiegertochter bestimmt war und bedeutete: »Dann kann mein Sohn endlich aufhören, sich deinetwegen totzuarbeiten.«
    David war hellhörig genug, um Harriet rasch zu Hilfe zu kommen. »Noch nicht. Harriet und ich sind darüber einer Meinung.«
    »Was soll sich denn eurer Meinung nach noch ändern?«, fragte Molly kalt. »Ben bestimmt nicht.«
    Aber als sie allein waren, sprach David anders mit Harriet. Er hätte das Haus sehr gern verkauft.
    »Schon der Gedanke, mit Ben in einem kleinen Haus zusammenzuhocken …«, wandte Harriet ein.
    »Davon ist keine Rede. Aber muss ein Haus immer gleich die Ausmaße eines Hotels haben?«
    David wusste, dass Harriet, auch wenn es noch so töricht war, immer noch davon träumte, dass es wieder einmal so sein würde wie in den alten Zeiten.
    Dann waren die Ferien vorüber. Im Ganzen gesehen ein Erfolg, jeder hatte sich redlich Mühe gegeben. Außer ihrer Schwiegermutter Molly, wie Harriet fand. Aber vieles hatte sie und David im Stillen betrübt. Sie hatten dagesessen und sich anhören müssen, wie von Leuten erzählt wurde, die sie nie persönlich kennengelernt hatten. Luke und Helen hatten die Familien von Schulfreunden besucht. Und diese Menschen würden sie niemals zu sich einladen können.
    Im September kam Ben in die Hauptschule. Er war elf Jahre alt. Es war das Jahr 1986 .
    Harriet bereitete sich innerlich auf den unausweichlichen Telefonanruf vor, der spätestens nach ein paar Wochen, wie sie annahm, vom Direktor der Schule kommen musste. Die neue Schule hatte doch bestimmt einen vertraulichen Bericht über Ben erhalten, und zwar von der Leiterin der Grundschule, die damals so tapfer bestritten hatte, irgendetwas Auffälliges an Ben zu finden. »Ben Lovatt ist kein besonders begabtes Kind, aber …« Aber was? »Er gibt sich Mühe.« Würde man es dabei belassen? Er hatte doch schon lange aufgehört, sich um ein wirkliches Verständnis des Lehrstoffs zu bemühen, er konnte kaum lesen oder mehr als seinen Namen schreiben. Er begnügte sich damit, andere nachzuahmen, soweit ihm das möglich war.
    Es kam kein Anruf und auch kein Brief. Ben, den Harriet jeden Tag auf blaue Flecken oder andere Kampfspuren überprüfte, schien sich der rauen, ja oft fast brutalen Welt der Hauptschule ohne Schwierigkeiten anzupassen.
    »Magst du diese Schule, Ben?«
    »Ja.«
    »Mehr als die vorige?«
    »Ja.«
    Bekanntlich haben all diese Schulen einen Bodensatz von Unerziehbaren, nicht Assimilierbaren, Hoffnungslosen, die von einer Klasse in die andere mitgeschleppt werden und nur auf den glücklichen Moment der Entlassung warten. Meist sind es, zur heimlichen Erleichterung ihrer Lehrer, notorische Schulschwänzer. Ben gehörte natürlich vom ersten Tag an zu ihnen.
    Bereits wenige Wochen nach Schulbeginn brachte er einen großen, schlaksigen, dunkelhaarigen Jungen mit nach Hause, der so zwanglos und nett auftrat, dass Harriet dachte: »John!« Und dann: »Zumindest muss es Johns jüngerer Bruder sein.« Nein. Ben hatte sich nur sofort zu dem Jungen hingezogen gefühlt, weil er ihn an die glücklichen Zeiten mit John erinnerte. Aber der hier hieß Derek und war schon fünfzehn und würde bald die Schule verlassen. Warum gab er sich mit Ben ab, der obendrein noch ein paar Jahre jünger war als er selbst? Harriet beobachtete die beiden, wie sie sich etwas zu essen aus dem Kühlschrank holten, sich Tee machten, vor dem Fernsehgerät saßen und mehr redeten als hinsahen. Eigentlich wirkte Ben älter als Derek. Harriets Anwesenheit wurde von beiden ignoriert. Wie damals, als Ben das Maskottchen von Johns Bande gewesen war und er nur Augen für John gehabt hatte, hängte er sich nun an Derek. Und dann auch an Billy, Elvis und Vic, die nach der Schule unaufgefordert ins Haus kamen, sich aus dem Kühlschrank versorgten und im geräumigen Wohnzimmer herumsaßen.
    Was fanden diese großen Jungen, die fast mit der Schule fertig waren, an Ben?
    Sie sah sie fast täglich, manchmal von der Treppe aus, wenn sie nach unten kam: eine Gruppe von hoch aufgeschossenen, dünnen oder auch dicklichen Jugendlichen, blonde, braune, rothaarige, und mitten unter ihnen der kräftige, untersetzte, breitschultrige Ben mit seinem störrischen fahlgelben Haar, das so seltsam in die Stirn und in den Nacken wuchs, und mit seinen

Weitere Kostenlose Bücher