Das fünfte Kind. Roman
eins.«
Harriet dachte, dass er nicht so sprechen würde, wenn er öfter zu Hause wäre. Laut sagte sie: »Du übersiehst einen Umstand, David.«
»Und der wäre?«
»Ben wird bald aus dem Haus sein. Sie werden alle verschwinden, und Ben mit ihnen.«
Er dachte darüber nach, und er dachte über sie nach, während sich seine Kiefer langsam hin- und herbewegten. Er sah sehr müde aus und bedeutend älter, als er tatsächlich war. Man mochte ihn eher für sechzig als für fünfzig halten. Sein Haar war grau, seine Haltung ziemlich gebeugt, Schatten lagen auf seinem Gesicht, und sein Blick war der eines Mannes, der immer auf das Schlimmste gefasst ist. Diesen Blick richtete er nun auf seine Frau. »Wieso? Sie können herkommen, wann immer sie wollen, tun, was sie wollen, sich mit Essen versorgen.«
»Es ist nicht aufregend genug für sie, deshalb. Ich glaube, eines Tages hauen sie einfach alle nach London ab oder in eine andere Großstadt.«
»Und Ben wird mit ihnen gehen?«
»Ben wird mit ihnen gehen.«
»Und du wirst nicht hinterherfahren und ihn zurückholen?«
Sie antwortete nicht. Dieser Seitenhieb war unfair, und das musste er wissen.
Nach einer kurzen Pause sagte er: »Entschuldige. Ich bin so müde, dass ich nicht mehr weiß, was ich sage und tue.«
»Wenn Ben aus dem Haus ist, könnten wir vielleicht einmal zusammen Ferien machen.«
»Ja, vielleicht.« Das klang, als könnte er sogar daran glauben, darauf hoffen.
Später lagen sie nebeneinander, ohne sich zu berühren, und besprachen die praktischen Vorkehrungen für einen Besuch bei Jane, in ihrem Internat. Und dann gab es da noch den Elternsprechtag in Pauls neuer Schule.
Sie waren allein in dem großen Zimmer, in dem alle Kinder bis auf Ben zur Welt gekommen waren. Über ihnen die Leere der oberen Stockwerke und des Dachbodens. Unter ihnen die Leere des geräumigen Wohnzimmers. Sie hatten die Haustür abgeschlossen. Falls Ben in dieser Nacht noch nach Hause zu kommen gedachte, musste er klingeln.
Sie sagte: »Wenn Ben weg ist, könnten wir diesen Kasten verkaufen und uns dafür irgendwo anders etwas Vernünftiges anschaffen. Vielleicht kommen die Kinder dann wieder gern zu uns. Wenn er nicht mehr da ist.«
Keine Antwort: David war eingeschlafen.
Bald danach war Ben mit den anderen wieder ein paar Tage mit unbekanntem Ziel unterwegs. Harriet sah sie im Fernsehen. Im Norden Londons hatte es einen Tumult gegeben. Schon vorher war »Randale« angesagt worden. »Bens Gang« war zwar nicht unter denen, die mit Steinen warfen und mit Eisenstangen dreinschlugen, aber sie stand an einer Straßenecke, grinsend, johlend und die anderen aufhetzend.
Am nächsten Tag waren sie plötzlich wieder da, rekelten sich aber nicht wie sonst vor dem Fernseher, sondern waren irgendwie ruhelos und verschwanden schon bald wieder. Am folgenden Morgen wurde bekannt, dass in einem kleinen Laden mit einer Postannahmestelle eingebrochen worden war. Vierhundert Pfund waren entwendet worden. Den Ladeninhaber fand man gefesselt und geknebelt. Die Postangestellte war zusammengeschlagen und bewusstlos zurückgelassen worden.
Gegen sieben Uhr abends kam die ganze Bande ins Haus, aufgeregt und stolz wie nach einer Heldentat. Als sie Harriet sahen, wechselten sie Blicke und genossen das Geheimnis, das sie vor ihr hüteten. Prahlerisch beiläufig zogen sie Banknotenbündel hervor, blätterten sie durch und steckten sie wieder ein.
Schon allein dieses übertriebene Getue und ihre hektischen Gesichter erregten Harriets Verdacht. Dafür brauchte man kein Polizist zu sein.
Nur Ben war nicht so aufgedreht wie die anderen. Er war wie immer. Man hätte meinen können, dass er bei der Sache nicht mitgemacht hatte; was immer es auch gewesen sein mochte. Aber bei den Krawallen in London, da war er dabei gewesen, sie hatte ihn gesehen!
Sie versuchte einen Vorstoß. »Ich habe euch neulich im Fernsehen gesehen. Bei den Whitestone Estates.«
»Klar, wir waren dabei!«, warf Billy sich in die Brust.
»Und wie!«, sagte Derek und streckte die Daumen nach oben, während Elvis sie nur hart und wissend ansah. Ein paar andere, die nicht regelmäßig kamen, freuten sich mit.
Einige Tage später bemerkte Harriet: »Ich glaube, ihr solltet euch allmählich darauf einrichten, dass dieses Haus verkauft wird. Nicht gleich, aber bald.«
Ihre Ankündigung war hauptsächlich für Ben bestimmt, aber obwohl er ihr die Augen zuwandte und, wie sie vermutete, begriff, was sie damit sagen wollte, verzog er
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