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Das fünfte Kind. Roman

Das fünfte Kind. Roman

Titel: Das fünfte Kind. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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besonders blutrünstigen Szenen auf dem Bildschirm lachte er oft schrill und haltlos. Elvis war ein schlanker, geschmeidiger blonder Kerl, sehr höflich, aber ein übler Bursche, wie Harriet im Geheimen fand. Seine Augen waren so kalt wie die von Ben. Billy war ein primitiver Kraftprotz, der sich in ständigen Drohungen erging. Wenn es im Fernsehen eine Keilerei gab, sprang er auf die Füße und beinahe in den Bildschirm hinein, und erst wenn die anderen in Hohngelächter ausbrachen, kam er wieder zu sich. Harriet hatte Angst vor diesem Billy. Besonders vor ihm. Andererseits, sagte sie sich, waren sie alle nicht intelligent genug. Oder doch? Vielleicht Elvis? Wenn sie wirklich Diebstähle (oder Schlimmeres) verübten: Wer plante das alles, und wer hatte sie bis jetzt davor bewahrt, erwischt zu werden?
    Ben? »Er ist sich seiner Kräfte gar nicht bewusst.« Diese Formel hatte über all seine Schuljahre für ihn gegolten. Wie hätten seine üblichen Wutanfälle sonst so glimpflich ablaufen können? Harriet hielt immer verstohlen nach blauen Flecken, Beulen oder Schnittwunden Ausschau. Jeder hatte mal welche, aber nie besonders schlimme.
    Eines Morgens, als sie hinunterkam, fand sie Ben mit Derek beim Frühstück. Diesmal sagte sie nichts, aber sie wusste, dass sie sich auf mehr gefasst machen musste. Und richtig, bald waren sie schon zu sechst: Sie hatte sie gehört, wie sie sich sehr spät nach oben geschlichen und jeder ein Bett gesucht hatten.
    Sie ging zum Tisch, nahm ihren ganzen Mut zusammen, fest entschlossen, ihre Autorität zu behaupten, und sagte: »Ihr könnt hier nicht übernachten, wann immer es euch gefällt.«
    Sie aßen stumm weiter.
    »Das ist mein Ernst!«, fügte sie scharf hinzu.
    Derek sagte mit absichtlich unverschämtem Lachen: »Oh, bitte
tausend
mal um Entschuldigung. Wir dachten, es würde Sie nicht stören.«
    »Aber es stört mich«, sagte sie.
    »Das Haus ist groß genug«, sagte Billy, der ungeschlachte Kraftprotz, den sie am meisten fürchtete. Er sah Harriet nicht an, sondern schob sich, hörbar schmatzend, einen großen Bissen in den Mund.
    »Es ist nicht euer Haus«, sagte Harriet.
    »Eines Tages nehmen wir es Ihnen sowieso weg«, sagte Elvis laut lachend.
    »Oh, vielleicht werdet ihr das, ja.«
    Jetzt gruben alle in ihrem Gedächtnis, um ähnlich »revolutionäre« Bemerkungen zu machen. »Wenn erst die Revolution da ist, werden wir …« – »Wir werden all diese reichen Scheißkerle abmurksen und dann …« – »Für die Reichen gibt’s andere Gesetze als für die Armen, das weiß doch jeder.« Sie plapperten diese Dinge im Plauderton daher, mit der satten Selbstgefälligkeit von Menschen, die andere kopieren und im Strom gerade populärer, allgemein verbreiteter Stimmungen und Meinungen mitschwimmen.
    David kam in diesen Tagen immer später von der Arbeit, und manchmal kam er überhaupt nicht. Er übernachtete dann bei einem seiner Londoner Kollegen. Daher war es für ihn noch überraschend, als er einmal früher als sonst kam und »Ben Lovatts Gang«, neun oder zehn Jugendliche, vor dem Fernseher antraf, umgeben von Bierdosen, Pappkartons mit Speiseresten aus einem chinesischen Restaurant und zusammengeknüllten Tüten, die achtlos über den Boden verstreut waren.
    Er sagte: »Räumt diese Schweinerei weg.«
    Sie kamen nur widerwillig auf die Füße und räumten auf. Er war ein Mann: der Herr des Hauses. Ben half mit.
    »So, das reicht«, sagte David. »Und nun verzieht euch, alle miteinander.«
    Sie verzogen sich, und Ben mit ihnen. Weder Harriet noch David sagten ein Wort, um ihn zurückzuhalten. Sie waren schon einige Zeit nicht mehr allein gewesen. Wochenlang, dachte Harriet. David wollte ihr etwas sagen, zögerte aber. Fürchtete er sich vor dem eigenen unbändigen Zorn, in den er geraten konnte? »Siehst du nicht, worauf das alles hinausläuft?«, fragte er, nachdem er sich irgendeinen Rest aus dem Kühlschrank geholt und zu Harriet gesetzt hatte.
    »Du meinst, weil diese jungen Leute immer öfter herkommen?«
    »Genau das meine ich. Siehst du nicht ein, dass wir das Haus endlich verkaufen sollten?«
    »Ich weiß, das sollten wir«, sagte Harriet leise, aber er verstand ihren Ton falsch.
    »Herrgott, Harriet, worauf wartest du noch? Es ist der helle Wahnsinn!«
    »Mein einziger Einwand ist, dass die Kinder eines Tages noch froh sein könnten, dass wir das Haus behalten haben.«
    »Wir haben keine Kinder mehr, Harriet. Das heißt, ich habe keine. Und
du
hast nur noch

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