Das fünfte Paar
gemacht, der Vorhang zugezogen. Das Waschbecken war noch nicht ganz trocken, in der Luft hing schwach der Duft ihres Parfums: Sie konnte noch nicht lange weg sein. Ich sah mich nach ihrem Aktenkoffer und dem Kassettenrecorder um - beides war nicht da. Auch die Achtunddreißiger nicht! Ich durchsuchte die Kommode. Ganz hinten in einer Schublade fand ich ihre Notizen. Ich setzte mich aufs Bett und begann zu lesen - und während ich ihr durch ihre Tage und Wochen folgte, sah ich allmählich klarer. Was als engagierte Bemühung begonnen hatte, die Wahrheit über die Morde an den Pärchen herauszufinden, hatte sich zu einer wahren Besessenheit entwickelt. Sie war fasziniert von Spurrier. Wäre er schuldig, wollte sie ihn zum Mittelpunkt ihres Buches machen, seine psychopathische Persönlichkeit ergründen. Sollte sich seine Unschuld erweisen, würde sie nicht ruhen, bis sie den tatsächlichen Mörder entlarvt hätte, der ihrer Meinung nach dann beim CIA zu finden sein mußte - »wegen der Karte«. Zu Anfang hatte Spurrier sich stur geweigert, mit ihr zu sprechen - doch als sie in der vergangenen Woche einen erneuten Anlauf genommen hatte, war er bereit gewesen, sich nach der Verhandlung mit ihr zu treffen, und hatte ihr mitgeteilt, daß sein Anwalt »einen Handel abgeschlossen« habe.
»Er sagt, er läse meine Artikel schon seit Jahren«, schrieb Abby, »und habe sich an meinen Namen noch aus meiner Richmonder Zeit erinnert. Er hat auch meine Berichte über Jill und Elizabeth gelesen- es seien "nette Mädchen" gewesen, und er habe gehofft, die Cops würden diesen "Irren" erwischen. Er wußte aus der Zeitung auch über den Mord an Henna Bescheid "diese Tragödie" sei der Grund dafür, daß er sich nun doch entschlossen habe, mit mir zu reden: Er "fühle mit" mir, er wisse, wie es sei, "ein Opfen" zu sein - und Hennas Ermordung habe auch mich zu einem Opfer gemacht. "Ich bin ein Opfer", sagte er. ,Wir können darüber sprechen. Vielleicht können Sie mir erklären, warum man das mit mir macht." Er schlug vor, ich solle Samstag um elf zu ihm nach Hause kommen, und ich sagte zu - vorausgesetzt, ich bekäme die Exklusivrechte an seiner Geschichte. Er erklärte, das gehe in Ordnung, er habe nicht vor, mit jemand anderem zu sprechen - solange ich seine Version verträte. "Die Wahrheit", wie er es formulierte. Lieber Gott, ich danke dir! Zum Teufel mit dir und deinem Buch, Cliff! Diesmal verlierst du!«
Also schrieb Clifford Ring ebenfalls ein Buch über die Morde! Kein Wunder, daß Abby sich so seltsam benommen hatte. Sie hatte mich tatsächlich angelogen, als sie mir beschrieb, wie die Verhandlung gegen Spurrier verlaufen würde - und jetzt verstand ich, weshalb: Sie wollte vermeiden, daß der Verdacht in mir erwachte, sie hätte vor, zu ihm zu gehen - und wenn ich annähme, daß er ins Gefängnis müsse, käme mir dieser Gedanke nicht.
»Ich traue niemandem mehr«, hatte sie gesagt. Es tat weh, daß diese Einstellung sich auch auf mich erstreckte. Ich warf einen Blick auf die Uhr: Viertel nach elf! Marino war nicht da, also hinterließ ich eine Nachricht für ihn. Dann rief ich bei der Polizei in Williamsburg an. Das Telefon klingelte eine halbe Ewigkeit, bevor eine Sekretärin den Hörer abnahm. Ich sagte ihr, ich müsse sofort mit einem der Detectives sprechen.
»Die sind alle unterwegs«, teilte sie mir gelangweilt mit. »Dann geben Sie mir jemanden, der da ist.«
Sie verband mich mit einem Sergeant. Ich stellte mich vor und fragte: »Wissen Sie, wer Steven Spurrier ist?« »Wenn man hier arbeitet, ist es unmöglich, das nicht zu wissen.« »Eine Reporterin ist für ein Interview zu ihm nach Hause gefahren. Bitte ersuchen Sie das Überwachungsteam, sich zu vergewissern, daß alles in Ordnung ist.«
Eine lange Pause folgte. Papier knisterte. Es klang, als äße der Sergeant etwas. Dann sagte er: »Spurrier steht nicht mehr unter Beobachtung.«
»Wie bitte?«
»Unsere Jungs sind abgezogen worden.«
»Warum?« Ich hatte Mühe, ihn nicht anzuschreien.
»Weiß ich nicht, Doc - ich war in Ur ...«
»Schicken Sie sofort einen Streifenwagen zu seinem Haus und lassen Sie nachsehen, ob alles okay ist!« Jetzt hatte ich doch geschrien.
»Machen Sie sich keine Sorgen.« Seine Stimme war so ruhig wie ein Mühlteich. »Ich gebe es weiter.«
Ein Wagen fuhr in die Einfahrt, und ich legte auf. Abby ist zurückgekommen! dachte ich. Gott sei Dank! Doch als ich aus dem Fenster schaute, sah ich Marino. Ich stürzte zur Tür und
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