Das fünfte Paar
für fünf der Fälle. Aber nicht für die Morde an Jill und Elizabeth.«
Er sah mich überrascht an. »Wieso?«
»Weil er die beiden kannte - sie kamen gelegentlich in seine Buchhandlung. Ich nehme an, er hat sie lange beobachtet. Bestimmt spürte er, daß die Mädchen mehr waren als Freundinnen - und das war der Auslöser für ihn: Er ist besessen von Pärchen. Vielleicht waren es seine ersten Morde, und vielleicht meinte er, zwei Frauen seien als "Einstieg" leichter zu bewältigen als ein Mann und eine Frau. Er malt sich das Verbrechen im vorhinein aus, und seine Phantasien bekommen immer neue Nahrung, wenn Jill und Elizabeth in seinem Laden erscheinen. Vielleicht hat er sie nach Feierabend verfolgt und auch dabei den Mord immer wieder in Gedanken durchgespielt. Das Waldstück in der Nähe von Mr. Joyces Haus ist als Tatort vorgesehen. Ich bin sicher, daß er Dammit erschossen hat. Und eines Abends folgt er den jungen Frauen zum Anchor und beschließt, zu handeln. Er stellt seinen Lincoln irgendwo ab und macht sich mit der Sporttasche in der Hand zu Fuß auf den Weg zu der Bar.«
Marino sah mich gespannt an. »Geht er rein und beobachtet sie, während sie ihr Bier trinken?«
Ich schüttelte den Kopf. »Das wäre zu riskant. Er treibt sich draußen herum, bis die beiden zu ihrem Volkswagen gehen. Dann nähert er sich ihnen und erzählt seine Pannenstory. Er ist der Besitzer des Buchladens, in dem sie häufig sind - sie sehen keinen Grund, ihm zu mißtrauen, und nehmen ihn mit. Kurz darauf läuft etwas schief, und sie landen nicht im Wald, sondern auf dem Friedhof. Die beiden Frauen wehren sich, insbesondere Jill.«
»Und er blutet hinten im Wagen«, ergänzte Marino das Szenario. »Vielleicht aus der Nase, und Blut kriegt man mit keinem Staubsauger weg.«
»In diesem Fall macht er sich wohl kaum die Mühe mit dem Staubsaugen. Er ist durcheinander, in Panik, und stellt den VW am nächstmöglichen Platz ab - vor dem Motel. Wo er seinen Wagen geparkt hat, wissen wir nicht - aber es wird bestimmt eine Weile gedauert haben, bis er hinkam.«
»Vielleicht hat das Fiasko mit den beiden Frauen ihn so geschockt, daß er fünf Jahre brauchte, um neuen Mut zu fassen.« »Das glaube ich nicht«, sagte ich. »Die große Pause muß einen anderen Grund haben.«
Ein paar Wochen später saß ich in meinem Arbeitszimmer, als das Telefon klingelte. Mein auf Band gesprochener Text hatte kaum begonnen, als der Anrufer auch schon auflegte. Eine halbe Stunde später klingelte es wieder- und diesmal war ich schneller als die Maschine. Mein »Hallo?« wurde mit einem Klicken beantwortet. Versuchte jemand, Abby zu erreichen, wollte aber nicht mit mir sprechen? Hatte Clifford Ring herausgefunden, wo sie sich aufhielt? Nachdenklich ging ich zum Kühlschrank, um mir einen Imbiß zu holen, und entschied mich für ein paar Scheiben Käse. Ich saß wieder am Schreibtisch und schrieb Überweisungen aus, als der Kies der Einfahrt unter Autoreifen knirschte. Abby! dachte ich - doch es klingelte.
Durch den Spion sah ich Pat Harvey vor der Tür stehen. Sie trug eine rote Windjacke und Jeans. Jetzt wußte ich, wer zweimal aufgelegt hatte: Sie wollte sichergehen, daß ich zu Hause wäre, wenn sie vorbeikäme.
»Es tut mir leid, Sie zu stören«, sagte sie, aber ich merkte ihr an, daß das nur eine Floskel war.
»Bitte kommen Sie herein«, forderte ich sie widerwillig auf.
Sie folgte mir in die Küche, wo ich ihr aus der Kanne, die auf der Warmhalteplatte stand, einen Kaffee eingoß. Mrs. Harvey saß steif am Tisch und hielt die Tasse mit beiden Händen umfaßt.
»Ich komme gleich zur Sache«, begann sie. »Ich habe gehört, daß dieser Mann, der in Williamsburg verhaftet wurde - Steven Spurrier -, für den Mörder von zwei jungen Frauen gehalten wird, die vor acht Jahren umgebracht wurden.«
»Von wem haben Sie diese Information?«
»Das ist unwichtig. Der Fall wurde nie aufgeklärt und ist jetzt mit den Morden an den fünf Pärchen in Verbindung gebracht worden. Die beiden jungen Frauen waren Spurriers erste Opfer.«
Das Unterlid ihres linken Auges zuckte. Ihr körperlicher Verfall war schockierend. Die kastanienbraunen Haare waren stumpf, die Augen glanzlos, die Züge verhärmt, die Wangen eingefallen. Sie wirkte noch magerer als damals bei der Pressekonferenz im Fernsehen.
»Ich bin nicht sicher, ob ich Ihnen folgen kann«, sagte ich vorsichtig.
»Er hat sich ihr Vertrauen erschlichen und sie dadurch hilflos gemacht. Genauso ist er
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