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Das fünfte Verfahren

Das fünfte Verfahren

Titel: Das fünfte Verfahren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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erledigen: Versuchen
Sie, Hélène zu erreichen, und beruhigen Sie sie über mein Schicksal.“
    „O. k.“, sagte Covet knapp.
    Die anglo-amerikanische Landung in
Afrika würde bald seinen gesamten Wortschatz beeinflussen, wenn er nicht
aufpaßte.

Die Nächte in der Irrenanstalt
     
     
    Der asthmatische Zug setzte mich in
Ferdières ab, als die Bahnhofsuhr halb vier zeigte. Die Luft war kühl, doch das
Barometer stand auf „schön“.
    Marc Covet hatte mir den Weg zu Fred
Delans Klinik haargenau beschrieben, so daß ich jetzt niemanden fragen mußte.
Ich hielt mich nicht im Städtchen auf. Pfeife im Mund und Hände in den Taschen
meines Trenchcoats — natürlich hatte ich mich nicht mit irgendwelchem Gepäck
belastet — , ging ich mit gleichgültiger Miene aufs Land.
    Die Klinik lag außerhalb, etwa einen Kilometer
vom letzten Haus entfernt, einsam. Von der Nationalstraße führte ein langer,
von Radspuren zerfurchter Weg dorthin.
    Es war ein dreistöckiges Gebäude, das
trotz seiner schäbigen Fassade vornehm wirkte. Eine hohe Mauer umgab den
ziemlich kleinen Park. Man konnte von außen die kahlen Bäume sehen.
    Ein schweres Gittertor mit eisernen
Beschlägen wehrte ungebetene Gäste ab. Rechts an einem Pfeiler hing ein
Klingelzug. Auf einer Marmorplatte war zu lesen.
     
    PSYCHIATRISCHE KLINIK
    Dr. Frédéric Delan
     
    Ich zog an der Klingel. Sofort kam
jemand, um zu öffnen. Ein Mann mit einem Käppchen auf dem Kopf, einer
schmutzigen Schürze vor dem Bauch und der Haltung und dem Gesicht eines
ehemaligen Boxers, der aus sämtlichen Vereinen wegen unerlaubter Tiefschläge ausgeschlossen
worden war. Es handelte sich bestimmt um den Wärter, der in der geschlossenen
Abteilung für Ruhe sorgte. Er hatte ganze Arbeit geleistet, überall herrschte
Totenstille.
    Ich stellte mich mit „Monsieur Martin“
vor und verlangte, den Doktor zu sprechen. Er erwarte mich mehr oder weniger,
fügte ich hinzu, falls die Post nicht irgendwo hängen geblieben sei. Nach
meiner Unterhaltung mit Covet hatte ich tatsächlich einen Brief mit dem
Absender Martin abgeschickt. Ich benutze dieses Pseudonym hin und wieder,
und Fred Delan kannte es.
    Der Gorilla führte mich in einen Raum,
den man für ein Wartezimmer halten konnte. Wie er sagte, wollte er „mal sehn“.
Kurz darauf kam er zurück, bat mich, ihm zu folgen, und brachte mich in ein
Büro, dessen Wände von Büchern und Bildern bedeckt waren. In der Mitte thronte
Frédéric Delan auf einem Sessel hinter dem Schreibtisch. Als er mich sah,
stutzte er einen Augenblick, reichte mir dann aber erfreut die Hand, die ich
ebenso erfreut ergriff.
    Der Boxer verschwand. An seiner Stelle
betrat eine blonde Frau in einem weißen Kittel das Zimmer. Welch ein Wechsel!
Außer ihren natürlichen Reizen stellte sie noch etwas zur Schau, das meine
Aufmerksamkeit erregte: Sie hielt ein Tablett in den Händen, auf dem eine
Flasche mit drei Sternen und zwei große Gläser standen. Das war der Beweis
dafür, daß dem Psychiater mein Pseudonym noch bekannt war. Der Empfang gefiel
mir. Reisen bildet nicht nur, es macht auch durstig.
    Die Kleine stellte das Zeug auf den
Schreibtisch, öffnete die Flasche und zog sich zurück. Delan goß unsere Gläser
voll, und ich beobachtete ihn dabei. Seine Stirnglatze, die inzwischen noch
deutlicher geworden war, gab ihm ein äußerst distinguiertes Aussehen. Doch
ansonsten hatte er sich seit unserer letzten Begegnung nicht verändert. Immer
noch machte er ein vergnügtes, einfältiges Gesicht, was ja für einen Psychiater
nicht ungewöhnlich ist.
    „Sagen Sie mal“, begann er, nachdem
ich ein Glas in der Hand hatte, „mir scheint, Ihr Gesicht hat sich ein wenig
verändert. Zuerst hab ich Sie gar nicht erkannt.“
    „Sie glauben gar nicht, wie sehr mich
Ihr Zögern gefreut hat, Doktor. Das macht meinem Maskenbildner alle Ehre! Es
verändert mich also wirklich?“
    „Sehr. Jedenfalls hat Ihr Gesicht
nichts mehr mit dem Foto zu tun.“ Er lachte. „Ich meine das, was die Zeitungen
veröffentlicht haben.“
    „Ach, Sie haben’s gesehen?“
    „Ja. Und kaum hatte ich die Nachricht
über Ihren Tod gelesen, da erhielt ich Ihren Brief. Sie sind noch immer für
jede Überraschung gut!“
    „Typisch Nestor“, sagte ich bescheiden
lächelnd und stellte mein Glas auf den Tisch.
    „Sie sind ‘n komischer Heiliger“,
bemerkte Delan.
    „Eine scharfsinnige Beobachtung“,
sagte ich nickend, „aber leider wenig originell. Dasselbe hab ich schon am Quai
des

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