Das fünfte Verfahren
Villa
am Meer, alleine, nur mit einem Butler namens... Na? Richtig! Joseph. So
ungefähr wußte Beaucher, wo die Briefe versteckt waren. Eigentlich hätte er sie
selbst klauen können, ohne dafür einen Privatdetektiv zu bezahlen, der in die
Rolle eines Einbrechers schlüpfen mußte. Aber ich habe Ihnen ja schon gesagt:
ein Depp! Bei unserer ersten Begegnung gestand er mir, ihm mache es mehr Spaß,
wenn ich die Briefe aus der Villa holen würde. Dann könne er sich weiter
erpressen lassen, wohl wissend, daß die Erpresserin jedes Druckmittel verloren
habe. Dreißig Riesen wollte er sich diesen Spaß kosten lassen.“
„Dreißigtausend Francs?“
„Ja.“
„Mein lieber Mann!“
„Sie sagen es. Also, er verriet mir
die Zeiten, zu denen ich ohne Gefahr in die Villa eindringen konnte, ohne eine
Erstkommunionfeier zu stören, gab die möglichen Verstecke an, damit ich nicht
die Nadel im Heuhaufen suchen müsse, und besorgte mir einen Nachschlüssel, der
mir den Zugang erleichtern sollte. Ich muß sagen, solch eine Vorarbeit habe ich
bisher bei keinem meiner Fälle erlebt. Doch in unserem Beruf kommt es auf einen
seltsamen Typen mehr oder weniger nicht an. Ich war nicht aus Paris angereist,
um dieses lukrative Geschäft abzulehnen. Jeder ist so verrückt, wie’s die
Polizei erlaubt. Ich nahm also an und führte den Auftrag aus. Na ja, mehr oder
weniger gut...“
Ich berichtete Covet von meinem
nächtlichen Auftritt in Jackie Lamours Villa.
„Das Schicksal meint es gut mit
Ihnen“, stellte er fest. „Ich nehme allerdings nicht an, daß Sie mir das Ganze
erzählen, um mir zu imponieren. Schließlich bin ich so einiges von Ihnen
gewohnt. Was mir nicht so recht einleuchtet, ist der Zusammenhang zwischen
diesem Robert Beaucher, der ja ein ziemlich loser Vogel zu sein scheint, seinen
suspekten Vergnügungen, Amouren oder wie man’s sonst nennen soll, die ihn in
die Bredouille gebracht haben, und dem Dingsbums. Ich meine, diesem Kroaten.
Aber vielleicht liegt das daran, daß ich noch beim ersten Liter bin. Oder
besteht da überhaupt kein Zusammenhang?“
„Um ehrlich zu sein: Ich weiß es nicht“,
gestand ich. „Es gibt da nur ein paar Kleinigkeiten, die eine gewisse
Aufmerksamkeit verdienen.“
„Und zwar?“
„Zunächst dachte ich an eine
Verwechslung des Opfers. Die Kugeln, die Sdenko Matitch ins Paradies der
Geheimagenten befördert haben, seien für mich bestimmt gewesen. Ich kannte den
Inhalt der Liebesbriefe, und Robert Beaucher befürchtete Ärger von meiner Seite
aus. Deshalb hatte er einen Killer auf mich angesetzt. So dachte ich. Aber so
wichtig können die Briefe doch nicht sein. Abgesehen von ihrem dümmlichen
Inhalt, waren sie eher alltäglich. Und so plemplem schien mir Beaucher auch
wieder nicht zu sein. Trotzdem, da gibt es etwas... Erinnern Sie sich an den
anderen Kroaten, den Terroristen, der Alexander Karageorgewitch ermordet hat?“
„Kalemen.“
„Und sein Vorname? Ich weiß ihn, aber
zwei Gedächtnisse erinnern sich besser als eins.“
„Sein Vorname? Moment...“
Marc Covet trank einen großen Schluck.
Das Resultat ließ nicht lange auf sich warten.
„Petrus.“
„Petrus, nicht wahr? Vielleicht hat
das nichts zu bedeuten, und ich bin das Opfer meiner Phantasie. Aber die
besagten Briefe sind mit Petr, unterzeichnet. Ich hatte Peter herausgelesen, doch da stand Petr, und nichts anderes. Rekapitulieren
wir mit Hilfe des Weißweins: Der Kroate Petrus Kalemen verübt 1934 in Marseille
— in Marseille! — ein Attentat auf seinen geliebten König. Der Kroate Sdenko
Matitch, mein schnauzbärtiger Doppelgänger, wird 1942 ermordet, kurz nachdem
ich diese Briefe mit der Unterschrift Petr, für Monsieur Beaucher aus
dem Feuer geholt hatte, ebenfalls in Marseille. Darüber hinaus ist die
ehemalige Besitzerin der Briefe ein eigenartiges Marienkind. An ihrem Arm habe
ich eine Narbe entdeckt, die von einer Schußverletzung herrührt. Und die
wiederum rührt weder vom Krieg noch vom Schleiertanz her. Das alles kann schon
zu denken geben.“ Covets Hirn kam in Bewegung. Er sah sich schon die Wahrheit
und nichts als die Wahrheit über das Attentat von Marseille berichten, bei dem
einige Punkte dunkel geblieben waren.
„Und die Briefe?“ fragte er aufgeregt.
„Ist Ihnen daran nichts Verdächtiges aufgefallen?“
„Nein. Liebe auf der ganzen Linie.
Streckenweise nur für Erwachsene. Wie von einem Jüngling geschrieben, dem der
Frühling mächtig zu schaffen macht. Eine derartige Prosa
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