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Das fünfte Verfahren

Das fünfte Verfahren

Titel: Das fünfte Verfahren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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bestürmen werden“, erwiderte ich.
    „Reden wir also übers Wetter. Über den
Regen, zum Beispiel.“
    „Sehr gerne.“
    „Dann lassen Sie uns das bei Tisch
tun. Es ist bald Essenszeit. Sie werden mit mir zusammen essen, in meiner
Privatwohnung. Es ist vielleicht nicht ratsam, wenn Sie sich unter meine...
äh... Laufkundschaft mischen.“
    „Bin ganz Ihrer Meinung, Doktor.“
    Ich sprach dem Essen reichlich zu. So
eine Mahlzeit hatte ich seit längerem nicht mehr gehabt. Jeanne servierte. Aus
Rücksicht auf mein Alkoholleiden stellte sie wahrscheinlich den Rotwein mehr in
meine Reichweite als in die ihres Chefs.
    Nachdem wir zu Ende gegessen hatten
und der Tisch abgeräumt war, zündete ich eine Pfeife und der Doktor eine
Zigarre an.
    „Beherbergen Sie in Ihrer Klinik auch
richtige Verrückte?“ erkundigte ich mich.
    „Schon alleine zur Tarnung“,
antwortete Delan. „Obwohl, ,Verrückte’ ist vielleicht nicht der richtige
Ausdruck. Eher sind es Depressive, die hier so etwas wie eine Kur machen. Keine
Fälle klassischer Geistesgestörtheit... oder was man so geistesgestört nennt...
Solche, die toben, geifern, Beleidigungen ausstoßen oder rumschreien. Nein,
dies hier sind sehr ruhige Leute. Man kann sagen, sie wohnen mit uns zusammen,
im hinteren Teil des Gebäudes.“
    „Man hat also Aussicht, ruhig schlafen
zu können?“
    „Ja... Obwohl...“
    Er drückte seine Zigarre im
Aschenbecher aus und reichte mir einen Verdauungsschnaps.
    „Hören Sie, Burma. Besser, ich sag’s
Ihnen gleich, bevor Sie morgen früh mit mir schimpfen. Tatsächlich haben wir
nur einen Unheilbaren bei uns, und der wohnt direkt neben Ihnen. Ich will ihn
nicht mit den anderen zusammenbringen, um sie nicht zu gefährden. Manchmal hat
er seine Krisen, Alpträume, in denen er laut schreit. Diese Tobsuchtsanfälle...
Nein, das Wort ist zu stark... Sagen wir, Erregungszustände... Also diese
Erregungszustände dauern nicht lange. Der Mann ist ein Freund von mir, und ich
habe alles versucht, um ihn zu heilen. Vergeblich. Es handelt sich um Victor
Fernèse. Sie haben vielleicht schon von ihm gehört...“
    Ich nahm den Zigarrenstummel aus dem
Aschenbecher und steckte ihn in meine Pfeife.
    „Nein“, sagte ich. „Auch wenn wir
bereits öfter zusammengearbeitet haben, so kenne ich doch nicht alle Ihre
Bekannten.
    „Nicht, weil Fernèse mein Freund ist,
hätten Sie von ihm gehört haben können. Waren Sie vor dem Krieg nicht auch
Mitglied pazifistischer Organisationen, oder täusche ich mich da?“
    „Sie täuschen sich nicht.“
    „Fernèse hat ebenfalls in diesen
Kreisen verkehrt. Er ist militanter Pazifist. Ich nahm an, daß auf bestimmten
Versammlungen...“
    „Nein“, unterbrach ich ihn, nachdem
ich mein Gedächtnis durchforstet hatte. „Der Name Victor Fernèse sagt mir
nichts.“
    „Vielleicht kämpfte er unter einem
Decknamen für seine Idee...Jedenfalls ist er Pazifist. Und als der Krieg
ausbrach, sah er alle seine Hoffnungen den Bach runtergehen. Das hat ihm einen
furchtbaren Schock versetzt. Von einem Tag auf den anderen hat er den Verstand
verloren. Ich erfuhr von einem Kollegen aus Toulouse von seinem Zustand. Damals
arbeitete er in der Gegend, in Saint-Gaudens. Ich hab ihn hier aufgenommen. Da
ich nicht kriegstauglich bin — irgend etwas stimmt mit meiner Lunge nicht — ,
konnte ich hierbleiben und ihn zu heilen versuchen. Doch ohne Erfolg, wie
gesagt. Inzwischen hab ich jegliche Hoffnung aufgegeben, behalte ihn jedoch
weiterhin hier. Verstecke ihn sozusagen. Denn Sie wissen ja, Pazifisten vom
Schlage eines Victor Fernèse haben die Nazis nicht grade in ihr Herz
geschlossen. Sie kennen ihre Feinde.“
    „Und der Mann hat Krisen?“
    „Vorübergehende, ja. Stundenlang
träumt er vor sich hin und murmelt unverständliches Zeug. Dann plötzlich wird
er munter und ruft den Namen einer Frau, Laurence. Komisch, ich wußte gar
nicht, daß er mit einer Dame dieses Namens liiert war.“
    „Man kann nicht alles wissen“,
tröstete ich ihn.
    „Nein“, stimmte er mir traurig zu,
„nicht einmal, wie man einen Freund heilen kann.“
    „Ach, hören Sie auf mit Ihren
freundschaftlichen Gefühlen!“ rief ich. „Kommt mal ein Freund zu Ihnen, dann
quartieren Sie ihn ausgerechnet neben dem lautesten Bekloppten ein!“
    „Fernèse verhält sich manchmal
wochenlang ruhig“, widersprach Delan.
    „Schon möglich, aber bei meinem
sprichwörtlichen Glück weiß ich genau, daß es ihn heute nacht überkommt.“
    „Mein Gott,

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