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Das fünfte Verfahren

Das fünfte Verfahren

Titel: Das fünfte Verfahren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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Orfevres gehört.“
    „Ach ja? Erzählen Sie!“
    Ich gähnte.“
    „Eine lange Geschichte, und ich bin
zum Umfallen müde. Verworren ist die Geschichte übrigens auch. Offen gesagt,
ich stecke bis zum Hals in der Tinte. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, hätte ich
gern noch ein paar Fakten in Händen, bevor ich anfange, darüber zu sprechen.“
    „Verstehe.“ Er nickte langsam.
    Ich lächelte.
    „Nicht daß ich Geheimnisse vor Ihnen
hätte! Es ist nur noch nicht so weit.“
    „In Ordnung. Und davon abgesehen?
Womit kann ich Ihnen behilflich sein?“
    „Ich möchte in der nichtbesetzten Zone
einem Kerl die Ohren lang ziehen.“
    „Eilt das sehr?“
    „Haben Sie jemals erlebt, daß ich’s
nicht eilig hätte?“
    „Nein, wirklich nicht. Nur... Sie
können nicht schneller sein, als es die Situation erlaubt, Dynamit-Burma! Und
jetzt, nach der Landung in Nordafrika, sind die Kontrollen an der
Demarkationslinie besonders streng. Eigentlich hätten morgen ein paar Leute
rübergeschleust werden sollen. Aber ich bin informiert worden, daß ein wenig
Geduld angebracht ist. Meine Freunde kundschaften gerade einen neuen Weg aus.
Außer Ihnen warten noch drei ,Patienten’ darauf, in den Süden zu kommen. Es
wird Ihnen nichts anderes übrigbleiben, mein Lieber, als sich in die Schlange
einzureihen und ebenfalls zu warten. Und versuchen Sie bitte nicht, durch das
Zertrümmern des Mobiliars oder durch andere Ausfälligkeiten einen verlängerten
Aufenthalt in meiner Klinik zu rechtfertigen“, fügte er lachend hinzu.
    „Ich werde sanft sein wie ein Lamm“,
versprach ich. „Wie lange, glauben Sie, muß ich hier schmoren?“
    „Das kann ich Ihnen unmöglich sagen.
Ganz plötzlich kann sich eine günstige Situation ergeben, und dann tauchen die
Reisebegleiter mitten in der Nacht hier auf. Das ist schon vorgekommen. Noch
ein Schlückchen?“
    „Ja, gerne.“
    Ich hob resigniert die Schultern. Auf
eigene Faust konnte ich nichts unternehmen. Also mußte ich mich auf die
Spezialisten verlassen.
    „Und was machen wir jetzt?“
    „Sie haben den Wunsch geäußert, ein
wenig auszuruhen. Ich werde Ihnen ein Zimmer herrichten lassen.“
    „Schalldicht und ausgepolstert?“
    Dr. Delan lachte amüsiert auf.
    „Keine schlechte Idee! So dynamisch,
wie Sie sind...“
    „Was ich noch vergessen habe zu
fragen: Was kostet mich der Spaß?“
    „Erlauben Sie, daß ich Ihnen die Reise
schenke. Geben Sie dem Führer — ich meine den, der Sie rüberbringt — ein gutes
Trinkgeld, und die Sache ist erledigt. Und hier in der Klinik sind Sie
selbstverständlich mein Gast. Doch, doch, ich bitte Sie! Unter einer Bedingung:
Wenn Sie dem Kerl auf der anderen Seite die Ohren langgezogen haben, kommen Sie
zurück und erstatten mir Bericht.“
    „Abgemacht.“
    Ich stand auf. Delan drückte auf einen
Knopf. Die Tür öffnete sich, und herein trat die nette Krankenschwester.
    „Jeanne, ich möchte Ihnen Monsieur
Martin vorstellen. Bringen Sie ihn auf Zimmer 6. Monsieur Martin ist ein neuer
Klient. Alkoholiker.“
    Ihr spöttischer Blick wanderte von
ihrem Chef zu mir und dann zu der Flasche auf dem Tisch.
    „Darauf wäre ich nicht gekommen“,
sagte sie ironisch.
    „Hören Sie, Baby“, meldete ich mich zu
Wort, „ich hab so das Gefühl, daß ich in Ihrer Begleitung auch noch zum
Erotomanen werde.“
     
    * * *
     
    Mein Zimmer war zwar nicht
ausgepolstert, doch die Fenster waren mit soliden Gitterstäben versehen. Es lag
nach vorne hinaus, in der zweiten Etage. Ich konnte direkt auf den Weg sehen.
Durch die kahlen Bäume hindurch erblickte ich in der Ferne die Nationalstraße.
    Die heraufziehende Abenddämmerung
färbte die Landschaft rotviolett. Aus einem nahen Wäldchen flogen plötzlich
Raben krächzend auf.
    Der Anblick hatte nichts übermäßig
Fröhliches an sich. Mir war ganz komisch zumute. Ich schloß das Fenster und
machte Licht. Ein eher sparsames Licht, Freund Delan war kein begeisterter
Anhänger von Energieverschwendung. Ich zog die dunklen, schweren Zivilschutzvorhänge
zu, wie es ein Schild auf der Innenseite meiner Tür vorschrieb, „für die
Sicherheit aller“. Hier kam die volle Bedeutung des Satzes zum Tragen.
    Das Badezimmer nebenan enthielt alles
Nötige für eine angemessene Körperpflege. Ich wusch, rasierte und kämmte mich
und ging dann wieder hinunter zu Fred Delan.
    „Ich dachte, Sie wären zum Umfallen
müde“, staunte er.
    „Ich bin es schon sehr viel weniger,
seit ich weiß, daß Sie mich nicht mit Fragen

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