Das fünfte Verfahren
hilfreicher
Mensch, diese Leiche! Doch bevor nichts mehr von ihr übrigbleiben würde, warf
ich sie dem Schießwütigen entgegen. Die bleischwere Leiche fiel auf ihren
Mörder, so als wollte sie ihm die gestrige Behandlung heimzahlen.
Ein Toter haut den stärksten Mann um.
Bei der Berührung mit einer kalten und steifen Leiche kann einem schon mal das
Essen der ganzen Woche hochkommen. Dem Gangster ging es anders: Es lief ihm
eiskalt über den Rücken. Die etwa fünfzig Kilo Totengewicht von Maillard — plus
Blei! — hauten ihn um. Leiche und Mörder fielen zu Boden. Paulot ließ sogar die
Waffe fallen. Ich stürzte mich auf ihn, und es begann ein verzweifelter Ringkampf.
Schiedsrichter war der arme Maillard. Bald geriet er dem einen, bald dem andern
zwischen die Beine. Ich stellte mir vor, wie der Bericht des Gerichtsmediziners
lauten würde, falls überhaupt jemals einer dieser Sachverständigen die Leiche
zu Gesicht bekäme. Er würde feststellen, daß der Tote unter die Räder eines
Zuges gekommen sein müsse.
Paulot gelang es, sich aufzurichten
und sich nach seiner Waffe umzusehen. Von der Stelle aus, an der ich mich
gerade befand, hatte ich keine Chance, vor ihm an sie heranzukommen. Ich konnte
sie nur mit einem gezielten Fußtritt in die andere Ecke des Zimmers
katapultieren. Die Kanone rutschte durch den Staub, und dann hörte man einen
Aufprall... auf den Fliesen der Küche im Erdgeschoß! Diese luftige Villa glich wirklich
einem Schweizer Käse. Paulot war nun endgültig entwaffnet. Das machte ihn
ausgesprochen wütend, und er schlug wild um sich. Ich stand ihm um nichts nach,
versuchte jedoch gleichzeitig, in die Ecke des Ringes zu gelangen, in dem die
Lebensmittel standen. Schade um den schönen Roten, dachte ich noch, und schon
zersplitterte eine Flasche auf dem Schädel meines Sparringpartners.
Haare, Stirn, Hemd und Schultern
trieften vor Rotwein. Etwas Blut mochte sich wohl daruntermischen, doch ich
hatte keine Zeit, das Mischverhältnis genau zu analysieren. Wie ein Akkordeon,
mit demselben jämmerlichen Seufzer, knickte Paulot in sich zusammen und fiel zu
Boden, wo er regungslos liegenblieb.
Ich hätte nie gedacht, daß ein Liter
Rotwein solch eine durchschlagende Wirkung hätte. Der Mann war fix und fertig!
Es hätte schon eines Auftritts von Marlene Dietrich im Lola-Kostüm bedurft, um
ihn wachzukriegen. Und auch das war nicht mal sicher. Nun bin ich nicht Marlene
Dietrich, und die war nicht hier. Also mußte ich warten, bis mein Patient von
alleine wieder zu sich kam. Um mich zu beschäftigen, fesselte ich ihn mit dem
Seidentuch und dem Taschentuch, die zusammen als Knebel Maillard den Tod
gebracht hatten. Ich war noch nicht ganz fertig damit, als ich draußen auf der
Straße ein Geräusch hörte. Ich ging zu dem vernagelten Fenster und spähte durch
die Ritzen hinunter.
Mitten auf dem Weg stand ein Mann, den
Blick besorgt und die Ohren wahrscheinlich gespitzt. Argwöhnisch und
unentschlossen beobachtete er das Haus, aus dem heraus ich ihn beobachtete. Wie
ein Ei dem andern glich er einem der Fotos, die ich bei der tauben Alten auf
dem Büfett gesehen hatte. Seine rechte Hand steckte in einem frischen Verband.
Ich überlegte mir, daß er heute morgen
bei der Arbeit wohl einen Unfall gehabt hatte und früher als gewöhnlich nach
Hause gekommen war. Genau zu der Zeit, als wir hier, Paulot und ich, unsere
Zirkusnummer vorführten, sozusagen als Privatvorstellung. Doch nun wollte der
Sohn der Alten wissen, was hier los war.
„Schlechte Karten, Nestor“, sagte ich
zu mir. „Bis der Kerl die Polizei ruft, vergeht keine Ewigkeit mehr!“
Wie um mich in meiner pessimistischen
Sichtweise zu bestätigen, verschwand der junge Mann in seiner Behausung, um
fast sofort wieder herauszukommen und in Richtung Stadt davonzueilen. Zeit für
mich, das Weite zu suchen, wenn ich nicht in der Falle sitzen wollte.
Paulot schwebte weiterhin im siebten
Himmel. Ich stieß ihn zwei-, dreimal mit dem Fuß an, um ihm auf die Sprünge zu
helfen, doch ohne Erfolg. Im Gegenteil. Ich machte es nur noch schlimmer. Von
Minute zu Minute sah er lebloser aus. Schade, daß ich ihn nicht mitnehmen
konnte. Doch mein K.-o.-Sieg sollte nicht umsonst gewesen sein. Ich durchwühlte
seine Taschen und räumte sie restlos aus. Auch sein Geld nahm ich an mich.
Schließlich mußte jemand meine Spesen bezahlen!
Jetzt wurde es wirklich Zeit, daß ich
das Dornröschenschloß verließ. Anstatt mich noch ein wenig in der
Weitere Kostenlose Bücher